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Begabung ist eher eine Herausforderung

Gespräch mit meinem sechzehnjährigen Sohn

Mein Sohn ist eine Nachteule. Bevor er gegen Mitternacht ins Bett geht, kommt er meistens noch zu mir, der ich um diese Zeit gewöhnlich schreibe oder lese, stellt sich neben meinen Schreibtisch oder schaut mir über die Schulter, um zu sehen, was ich da gerade mache, und um mich dann ein wenig zu parodieren. Oft merke ich gar nicht, dass es ironisch gemeint ist, was er da so von sich gibt...



Darüber muss ich dann oft lachen, weil ich mich darin wiedererkenne. Manchmal belassen wir es bei diesem liebevollen Verblödeln, und manchmal mündet es in ein ernstes kurzes Gespräch. Ich bin immer wieder gerührt, wenn er mich an seinem Leben teilnehmen lässt, wenn er mir engagiert erklärt, dass ihm zum Beispiel die systematische Umweltvergiftung große Angst macht, von jugendlichem Idealismus geprägt, und was mich, so wie er seine Kritik vorbringt, oft wehmütig an meine eigene Jugend erinnert. Wir reden aber auch über ganz alltägliche Dinge, über Eigenheiten bestimmter Lehrer, über Filme und Spiele, über Musik und Stars, die er cool oder strange findet.

Als ich ihn vor Kurzem einmal auf seine musikalische Begabung anspreche, die er eine Zeit lang vernachlässigte und die plötzlich wieder sehr viel Raum in seinem Leben einnimmt, meinte er, es rege ihn maßlos auf, immer auf seine Begabung angesprochen zu werden. Er will nicht mit seinem Instrument auftreten, nicht mit einer Art Musik im Mittelpunkt stehen, die ihm nichts bedeutet, sich nicht damit in den Vordergrund spielen. Er möchte vor allem seine Musik machen können und mit dieser unterhalten und bei den Menschen ankommen, am liebsten mit Freunden zusammen. Er hatte noch nie so deutlich formuliert, wie sehr ihn dieses Gerede über seine Begabung aufregt. Er will einfach ganz normal sein.

Das konnte ich ganz gut nachvollziehen, machte mich aber auch in gewisser Weise verlegen, weil ich ihn offenbar diesbezüglich nicht ernst genommen hatte, und ich saß eine Weile stumm da. Nach einer kleinen Pause sagte ich dann, dass ja jeder Mensch eine besondere Begabung habe, nur liege es an jedem selbst, seine Begabung zu entdecken und sie zu pflegen. Ich erwähnte Dirk Nowitzki, der in einem Fernsehbeitrag sagte, seine besondere Begabung, einen Ball zu „schmeißen“, mache nur 20 % aus, die restlichen 80 % seien harte Arbeit. Begabung sei eher eine Herausforderung. Und dann fragte ich:

„Was haben denn Deine Eltern für Begabungen?“

Er überlegte ein wenig, dann sagte er: „Die Mama kann sehr gut Kontakt herstellen. Sie kann richtig gut netzwerken, telefoniert viel und kann mit Leuten gut reden. Sie mag Menschen, mag gern Gesellschaft, lädt gern ein. Sie kann das sehr gut, mit Menschen zusammen sein.“

„Und ich, was ist meine spezielle Begabung?“, will ich etwas unbescheiden wissen und erwarte, dass er aufs Schreiben oder meine redaktionelle Arbeit abhebt. Aber weit gefehlt.

„Du kannst sehr gut zuhören“, sagt er nur und lächelt, als er merkt, wie sehr mich seine Beobachtung erstaunt. Das hätte ich nie und nimmer von mir gedacht.

Aber wenn mein Sohn es so sieht, muss ich es einfach annehmen. Ich schaue ihn wahrscheinlich ungläubig an, jedenfalls nickt er noch kurz und dann springt er die Treppe hinunter und verschwindet mit einem knappen „Gute Nacht“ im Bad.

Mich lässt er nachdenklich und erstaunt an meinem Schreibtisch zurück, weil ich von mir niemals behauptet hätte, ich könnte gut zuhören. Das ist eine neue Selbsterfahrung...

Josch 26.05.2016, 16.16

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