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Zu Fuß über die Alpen: ein Selbstfindungsprozess

Natürlich entschleunigen: zu Fuß über die Alpen

Es begann ziemlich entspannt: Nach etwa zehn Minuten Fußweg zum Olympia-Skistadion in Garmisch-Partenkirchen ging es zunächst mit der „Vintage“-Seilbahn auf den Eckbauer. Die winzigen Gondeln erinnern mich an alte Fahrgeschäfte auf der oiden Wiesn. Oben angekommen, machen wir unsere erste Wanderung an Schloss Elmau vorbei nach Mittenwald. Es soll etwas leichter losgehen, und dennoch sind es am Ende 15 ½ km, 550 Meter hinauf und 700 Meter hinunter. In Mittenwald belohnen wir uns erst einmal mit einem Eis, bevor wir mit dem Bus zu unserer ersten Unterkunft fahren.



Wenngleich wir an den ersten beiden Tagen noch mit dem Taxi oder Bus zum nächsten Ausgangspunkt unserer Alpenüberquerung fahren, werden die Wanderungen von Tag zu Tag anstrengender. Am Gleirschtal im Karwendel entlang durch das Kristental wandern wir zum Solsteinhaus hinauf. Es geht weiter von der Axamer Lizum über das Halsl bis zur Pfarrachalm und hinunter nach Telfes im Stubei, hinauf zum Serlespark, vorbei an der traumhaft schön gelegenen Wallfahrtskirche Maria Waldrast, über das Lange Tal hinauf zur Blaserhütte und über den Trinsersteig hinunter nach Trins, von der Annakapelle hinauf zur Trunaalm, über das Trunajoch und hinunter nach Obernberg am Brenner, von dort auf alten Schmugglerpfaden hinauf zum Sandjöchl und hinunter nach Gossensass, dem längsten Abstieg mit etwa 1.000 Höhenmetern. Der letzte Wandertag ist dann wieder eher etwas zum Entspannen und Ausklingen dieser natürlichen Entschleunigung, die sich als Alpenüberquerung tarnt. Wir fahren mit dem Bus nach Ladurns und mit dem Sessellift hinauf zur Ladurner Hütte. Von dort beginnt unsere letzte Wanderung den Dolomieu-Almenweg entlang bis zur Vallmigalm, dann weiter bis zum Rosskopf, wo wir mit der Rosskopfbahn hinunter nach Sterzing fahren.


Und der Ertrag dieser Wanderung?

Sieben Tage in einer Gruppe: acht Teilnehmer und ein Leiter. Menschen, die sich vorher noch nie gesehen haben. Das bedeutet, dass sich die Gruppe zuerst einmal finden muss. Jede Gruppe macht bekanntlich einen Entwicklungsprozess durch: von der Einstiegsphase, über die Konfrontations-, Konsolidierungs-, Arbeits- bis hin zur Trennungsphase. Nun ist nicht jede Phase gleich intensiv, und manche Phase bemerkt man als Teilnehmer gar nicht. Aber der Leiter muss über diese Phasen Bescheid wissen, muss sie spüren, wahrnehmen und gegebenenfalls intervenieren. Unsere Wandergruppe jedenfalls war ausgesprochen harmonisch. Die sogenannte Orientierungsphase war nur andeutungsweise erkennbar, vielleicht an der Frage, die sich jeder meist unbewusst stellt: Wo ist mein Platz in dieser Gruppe? Dass dies alles völlig problemlos verlief, lag sicher daran, dass von vornherein das Ziel der Gruppe klar definiert und vorgegeben war: zu Fuß von Garmisch nach Sterzing. Eine wichtige Voraussetzung für einen gelingenden Gruppenprozess ist das Gruppenklima sowie eine zentrale Figur, in unserem Fall der Leiter, der Guide, der Superguide.

Wir hatten an den Abenden in den durchweg sehr guten Hotels viel Spaß miteinander. Während der Wanderungen wurde nicht ständig miteinander geredet, was der körperlichen Anstrengung geschuldet war. Schließlich kostet das nur zusätzlich Kraft. Und dennoch hatte ich das Gefühl, dass wir einander kennen, ohne großen Austausch darüber, was jeder beruflich macht, welche besonderen Interessen er hat. Äußerlichkeiten eben. Irgendwie ist beim Bergwandern jeder gleich. Da zählen weder Verdienste, gesellschaftliche Positionen noch Besitz oder sonstige Attribute.


Erholung kommt mit der körperlichen Anstrengung 

Der vierte Etappe war für mich am anstrengendsten. Aber dank des umsichtigen Wanderführers, neudeutsch Guide, der stets das Fähnlein der acht Aufrechten im Blick hatte und umsichtig darauf achtete, dass alle wohlbehalten und ohne Frust ans Ziel kamen, schaffte ich – wie auch meine sieben Mitwanderer – auch schwierige Abschnitte der Wanderung. Im richtigen Augenblick ein Fitnesstipp – „kleiner Schritt hält fit“ – oder seine profunden Kenntnisse der Flora lenkten den Blick weg von sich auf die Schönheit der Natur, die ich doch oft geneigt bin, als selbstverständlich gegeben hinzunehmen.

Am späten Nachmittag, wenn wir in unserem jeweiligen Hotel ziemlich erschöpft, aber glücklich ankamen, das Gepäck holten, das bereits angeliefert war, und das Zimmer bezogen, entspannte ich mich immer kurz bei einem Saunagang. Erholung pur. Und dann gab es immer sehr leckeres Essen, das in einen fröhlichen, unterhaltsamen Abend mündete.

Insgesamt ist so eine Alpenüberquerung, wenn sie denn von den richtigen Leuten organisiert ist, auch eine Reise zu sich selbst. Man kommt sich Schritt für Schritt näher, nimmt die unendlich satte Natur, durch die man wandert, als Geschenk war. Das größte Geschenk aber war es für mich, dass ich es geschafft, dass ich nicht schlapp gemacht habe, dass ich manches Problem durch die Distanz aus einem anderen Blickwinkel betrachten konnte, wie die Brennerautobahn, die aus 1.000 Höhenmeter Unterschied klein wirkt. Je näher man ihr aber kommt, desto mehr nimmt einen der Lärm, der mit ihr verbunden ist, in Beschlag.

Für ein gesundes, lebendiges, glückliches Leben ist Abstand und die Konzentration auf den eigenen Körper und die Entdeckung der natürlichen Langsamkeit unerlässlich. Sie führt zu einer unendlichen „Leichtigkeit des Seins“.

Josch 20.07.2018, 18.09

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Hanna

Mit großem Interesse habe ich deinen Bericht gelesen! Ja,eine Wandergruppe muss harmonieren,nur dann hat man Spass daran! Es erinnert mich an meine zwei Wochen auf dem Jakobsweg! Ich muss zugeben,Jakobsweg der etwas anderen Art! Wir hatten auch gute Hotels,hatten einen sehr guten Wanderführer und haben sehr viel gesehen!wir sind täglich zwischen 15 und zwanzig Kilometer gelaufen und der Bus hat unser Gepäck ins Hotel gefahren! Der Abend lief dann etwa so ab wie bei euch! Ich wünsche dir für die weiteren Tage ein entspanntes Wandern und viel Freude an der Natur!

vom 22.07.2018, 08.25
Antwort von Josch:

Vielen Dank für deinen Kommentar. Deine Wanderung auf dem Jakobsweg klingt sehr interessant. Ich wusste gar nicht, dass es auch eine eher komfortable Variante gibt, was die Unterkünfte und den Transport des Gepäcks betrifft. Das aktive "Erwandern der Welt" ist meines Erachtens die höchste Form der Erholung und Selbstfindung. Danke auch für die guten Wünsche, die ich von Herzen erwidern darf.
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