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Bruno und Schmuel: eine Freundschaft an einem Zaun

Über eine Freundschaft, die kein Zaun der Welt trennen kann

Die Familie eines hohen Offiziers zieht nach Aus-Wisch. Der Vater wird Leiter eines Lagers in Polen, die beiden Kinder – der neunjährige Bruno und die zwölfjährige Gretel – müssen ihre Freunde in Berlin zurücklassen und in das einsame Haus am Rande des großen Lagers ziehen. Weder Schule noch Freunde gibt es hier, dafür umso mehr grotesk-brutale Figuren, allen voran Oberleutnant Kotler.

Soldaten erschießen Menschen, hilfloses Personal, wie zum Beispiel Pavel, der freundliche Hausdiener, der eigentlich Arzt ist, wird für die geringste Unachtsamkeit brutal bestraft und misshandelt.



Dienstboten sind über Generationen hinweg an die Familie gebunden. Da ist z.B. Maria, deren Mutter bereits für die Mutter des Kommandanten arbeitete und die dem Kommandanten für irgendeine nicht näher bezeichnete Sache dankbar sein muss. Daraus erwächst eine Loyalität mit dem Regime, die offenbar typologisch-funktional für das deutsche Volk gewesen ist.

Bruno findet bei einer seiner „Erkundungen“ am Zaun des Lagers entlang einen neuen Freund: Als Bruno sich dem Jungen näherte, saß er im Schneidersitz auf dem Boden und starrte den Staub unter sich an. Kurz darauf jedoch blickte er auf, und Bruno sah sein Gesicht. Und es war ein ziemlich seltsames Gesicht. Die Haut wirkte fast grau, aber es war ein Grau, wie Bruno es noch nie gesehen hatte. Die Augen waren sehr groß, ihre Farbe erinnerte an Karamellbonbons; das Weiße war sehr weiß, und als der Junge ihn anschaute, sah Bruno in ein Paar unsagbar traurige Augen (Seite 134).

Bruno trifft sich über ein Jahr lang nahezu jeden Nachmittag mit Schmuel, um mit ihm zu reden: Schmuel jenseits, Bruno diesseits des Zauns. Schmuel in der Opferrolle, Bruno in der unbewussten, die Herrscher repräsentierenden Rolle. Doch Bruno weiß nichts von den Insassen des Lagers, von ihrer Not, ihrem Hunger, ihren täglichen Misshandlungen, der körperlichen und geistigen Gewalt, der sie tagtäglich ausgesetzt sind, den Erniedrigungen und schlussendlich den täglichen brutalen Morden, den Tausende und Abertausende zum Opfer fallen.

Da entschließt sich Bruno am Tag vor seiner Rückreise nach Berlin von seinem Freund Schmuel Abschied zu nehmen. Er klettert unter dem Zaun hindurch, um die Welt jenseits des Zauns kennenzulernen. Damit er nicht auffällig wird, hat ihm Schmuel eine Sträflingskleidung mitgebracht. Und so wird Bruno bei seinem kurzen, illegalen Besuch im Lager zusammen mit Schmuel unerkannt im Lager interniert. Es gibt für ihn kein Zurück mehr ...


Nie wieder!

Der Junge mit dem gestreiften Pyjama ist ein Jugendroman. Das Thema des Romans ist zeitlos, vielleicht heute aktueller denn je, wenn man an die neuen antisemitischen Umtriebe in unserem Land denkt, wenn es sich der Vorsitzende einer sogenannten rechtspopulistischen Partei ungestraft erlauben kann, die zwölf Jahre Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten mit Millionen Morden als Vogelschiss zu bezeichnen. Wenn christsoziale Parteigranden die Ärmsten der Armen zynisch Asyltouristen nennen.

Max Mannheimer (gestorben 2016), der weiße Falke, wurde bei seinen vielen Begegnungen mit jungen Menschen nicht müde zu sagen: „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.“


Eine moderne Parabel 

John Boynes Roman besticht durch seine klare Anlage, das reduzierte Figurenarsenal und die für mich stimmige Textkonstruktion, die klare Struktur, die überschaubare erzählte Zeit und die kurze Erzählzeit. All das zusammengenommen ergibt keine hochdifferenzierte Auseinandersetzung mit unserer dunklen Geschichte, das ist auch nicht die Funktion eines fiktiven Textes. Aber die einfachen Strukturen sind gerade deswegen so wichtig, weil der Roman dadurch emotional berührt. Er ist damit ein Beitrag zur Auseinandersetzung mit der schwärzesten, unseligsten Geschichte Deutschlands, was für einen Text, der sich an zwölf- bis vierzehnjährige Leser wendet, meines Erachtens ganz entscheidend ist.

Die einfühlsame Führung des Lesers an der Geschichte entlang macht den Text spannend. Die bewusste Parteilichkeit der Figuren trägt zu einer subjektiven und selektiven Wahrnehmung bei, was – hoffentlich – zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema des Romans beim jungen Leser führt.

Gegen alle Kritiker, die vor allem auf die Simplifikation der Geschichte verweisen, ist es für mich ein sehr wichtiges Buch, das gut Schullektüre in der Orientierungsstufe sein könnte. Da würde ich sogar manchen Klassiker weglassen und lieber solche Texte wählen, die die Kraft haben, jungen Menschen emotional und empathisch Geschichte zu vermitteln.


John Boyne: Der Junge im gestreiften Pyjama. Fischer Taschenbuch Verlag 2007. Gebunden mit Schutzumschlag (auch als eBook und TB erschienen). 266 Seiten. ISBN 978-3-596-85228-4. 12,00 €


John Boyne wurde 1971 in Dublin geboren. Er studierte Englische Literatur und Kreatives Schreiben in Dublin und Norwich. 


Josch 31.07.2018, 12.20

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