Einfach zum Nachdenken

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Déjà-vu in Estaing. Fortsetzungsroman 4

Kapitel 4

In unserer hellen, stilvollen Wohnung herrscht Stille. Durch die penible Ordnung und die mit Bedacht arrangierten Designermöbel muss sie auf Außenstehende unbewohnt wirken. Sind denn alle ausgeflogen? Ich gehe am Zimmer meines Sohnes vorbei und höre ihn leise und monoton sprechen. Zaghaft, als wäre ich ein Besucher, klopfe ich an. Da steckt Tim widerwillig seinen Kopf heraus, als habe er es mit einem ungebetenen Gast zu tun.

„Brauchst du etwas?“, will er mit kühlem Blick und deutlicher Distanz in der Stimme wissen.



„Mit wem sprichst du?“

„Mit Mama.“

„Ist sie nicht zu Hause?“

„Nein, sie ist bei Michaela.“

„Kann ich sie sprechen?“

Aber da hat sich mein Sohn schon wieder in sein Zimmer verkrochen, wo er weiter leise ins Telefon redet, damit ich nicht höre, worum es geht.

Ich schlurfe den Flur entlang zu meinem Zimmer. Auf meinem Bett liegt ein Zettel von Katharina, eine schnell hingeworfene Nachricht.

Hi, Dan, ich bin bei Michaela und komme heute Nacht nicht nach Hause. Wir gehen zum Tango. Ich möchte mich anschließend nicht mehr ins Auto setzen, da es mir zu spät wird. Ich habe morgen frei. Bitte wecke Lilli morgen früh rechtzeitig, damit sie nicht wieder verschläft. Grüße, Katharina.

Eine geschäftsmäßig klingende Notiz, kein symbolischer Kuss, keine private Bemerkung. Enttäuscht zerreiße ich den Zettel und werfe die Schnipsel in den Papierkorb.

Lilli scheint unsere Situation unter die Haut zu gehen. Offenbar habe ich die Kinder in letzter Zeit sehr vernachlässigt. Und nun gehen sie mir aus dem Weg. Ich hätte mit ihnen über unsere Probleme sprechen sollen. Alt genug sind sie schließlich. Sie haben natürlich längst gespürt, dass Katharina und ich dem Ehe-Aus entgegentorkeln.

In der Küche mixe ich mir ein großes Glas Whiskey Sour mit braunem Rohrzucker, Limonenscheiben, ein paar Minzblättchen und etwas Eis. Dann gehe ich mit dem Drink auf mein Zimmer und lasse mich in die Børge-Mogensen-Couch fallen. Was haben wir nur falsch gemacht? Waren wir zu satt, zu sehr mit der Ansammlung all der schönen Äußerlichkeiten beschäftig? War es das, was unser Begehren immer mehr in Sattheit verwandelte? Oder waren wir einander zu sicher? Waren es die üblichen Fluchtversuche in gelegentliche Flirts, durch die wir uns entfremdeten? Ob Katharina einen Freund hat? Ich will es mir gar nicht vorstellen. Ist gegenseitiges Vertrauen, einander zu glauben, loszulassen, nicht mehr als Wissen? Meine Eltern hatten sich auch auseinandergelebt, aber sie waren trotzdem zusammengeblieben, bis der Tod sie voneinander schied. Sind sie meine Vorbilder, an denen ich meine Vorstellung vom Leben in einer Partnerschaft ausrichte? Oder waren der Wohlstand und die Vernunft in unserer Beziehung die Totengräber unseres Begehrens?

Ich spüre bereits die Wirkung des Alkohols, der mich sentimental werden lässt. Wehmütig denke ich an die Zeit zurück, als wir uns kennengelernt haben. Während ich darüber nachgrüble, schiebt sich Franziskas Gesicht über das von Katharina. Ich muss unwillkürlich lächeln. In Wahrheit bin ich froh darüber, dass ich mein Leben so führen darf, wie ich es mir vorstelle, abgeschottet von den Ansprüchen der Familie. Auch wenn ich nicht nur mir allein verantwortlich bin. Auf dem Weg ins Bad werfe ich einen Blick in Katharinas Zimmer. Ihr Anrufbeantworter blinkt. Eine fremde Männerstimme will wissen, ob es mit der Tangonacht klappt …

Josch 09.01.2017, 00.00

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