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Jazzmesse. Fortsetzungsroman (10)


Frühmesse (10)
Hubert Fürst saß im Zug nach Eslarn, blätterte im Steinpfälzer Tagblatt und las einen Bericht über den jüngsten Übungseinsatz der Freiwilligen Feuerwehr Gruppe B in Tännesberg, betitelt: „Freiwillige Feuerwehr Tännesberg erhält das Goldene Leistungsabzeichen.“ Neben dem Bericht, der eine Viertelseite der Zeitung einnahm, war auch ein Bild der Übungsgruppe abgedruckt, das die Mitglieder der Gruppe B in ihren Uniformen zeigte.

Es waren dies Kreisbrandrat Rudi Keck, umrahmt vom Kommandanten Hans Spachtholz und dem Vorstand der Freiwilligen Feuerwehr Tännesberg, Sepp Brunner, sowie dem Gruppenleiter Otto Lindner, dem Fahrzeugwart Paul Knorr, dem Schlauchwart Adolf Müller, dem Übungsleiter Adolf Völkl, dem Jugendleiter Hermann Zeller und dem Kassier Ambros Kraus.

Hubert fand den Bericht nicht besonders gut gelungen, verschwieg er doch völlig die Leistung des Ortsvorsitzenden der CSU, der nach Huberts Überzeugung diesen Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr durch sein politisches Wirken erst ermöglicht haben dürfte. Hubert machte sich Notizen für einen Leserbrief an das Steinpfälzer Tagblatt. Doch wollte ihm der Beitrag nicht so recht gelingen, zumal er den Ortsvorsitzenden der CSU nicht kannte und auch nicht wusste, wie dieser hieß. Schließlich gab er auf und widmete sich der unberührten Landschaft, die am Zugfenster vorbeiflog. Er war noch nie in Eslarn gewesen. Einerseits war er schon richtig nervös, andererseits freute er sich riesig auf seinen Auftritt im Gasthaus Zum Schwarzen Bären. Er wollte den Hinterwäldlern auf jeden Fall zeigen, was für ein JU-Mitglied echte menschliche und politische Solidarität bedeutete.

Im Schwarzen Bären saßen an diesem Freitnachmittag nur vier Kartenspieler in einer Nische und droschen ihr Blatt mit unbeschreiblicher Wucht auf den Tisch, weswegen Hubert befürchtete, das Möbelstück könnte jeden Moment unter dieser Belastung auseinanderbrechen.

„Ich hätte ein Spiel“, krächzte heiser einer der Spieler. Er wog sicher zwei Zentner, hatte einen Schnauzbart, breite Koteletten und lange fettige Haare, die auf seinem Hemdkragen aufsaßen und das Genick vollkommen verdeckten. In seinen Filzpantoffeln und dem blauen Overall saß er vornübergebeugt, mit aufgestützten nackten Oberarmen am Tisch und blickte herausfordernd in die Runde. Hubert war froh, dass er ihm nicht allein im Dunkeln begegnete, sonst wäre er wahrscheinlich vor Angst davongelaufen.

Wie es aussah, war der Bulle nach der Arbeit nur kurz nach Hause gegangen, hatte seine Arbeitsschuhe gegen Filzpantoffeln eingetauscht und war, ohne sich zu waschen oder umzuziehen, an den Kartentisch geeilt.

„Weiter“, brummte sein linker Tischnachbar mit einem Hut von unbestimmter Farbe und Form auf seinem relativ flachen Kopf und klobigen Händen, so groß wie eine Bratpfanne. Er konnte ebenso gut 30 wie 60 Jahre alt sein. Jedenfalls vermochte ihn Hubert schlecht zu schätzen. Aus einem wettergegerbten Gesicht blickten zwei blutunterlaufene graue Augen dumpf auf den Bullen und dann auf seine eigenen Karten.

„Weiter“, schrie der dritte Kartenspieler, ein bis auf die Knochen abgemagertes, gut 65 Jahre altes Männlein, bekleidet mit einer ehemals braunen, speckig-ledernen Kordhose. Er hielt die Spielkarten eng vor seine Brust gedrückt und blickte mit seinen wässrigen Augen ängstlich in die Runde, ohne dabei einem der Mitspieler direkt ins Gesicht zu sehen. Sein trockener Husten klang wie das Bellen eines Schäferhundes. Hubert musste unwillkürlich an Lungentuberkulose denken und hatte Sorge, der Keucher könnte ihn anstecken.

„Ich hab auch ein Weiter“, grunzte der vierte Spieler in zungenschwerem Dialekt. Er saß mit dem Rücken zum Eingang der Wirtsstube. Als die Tür geräuschvoll ins Schloss fiel, drehte er sich langsam um und musterte Hubert, der mitten in der Gaststube stand, verächtlich grinsend von oben bis unten. Hubert wurde ganz verlegen, weil der Mensch ihn so herausfordernd anstarrte, wie er meinte, und fragte in die Runde, ob er sich an den Nebentisch setzen könne. Da lachte der Mann, der eine Art Schubladenkinn hatte und offensichtlich der Wirt war, und sagte, während er sich wieder an seine Mitspieler wandte: „Du kannst dich hinsetzen, wo du willst. Es ist alles frei.“

Bevor sich Hubert gesetzt und noch bevor er einen Wunsch geäußert hatte, brüllte der Wirt in Richtung Theke, hinter der niemand stand: „Ria, ein Bier!“

Nach einer Weile kam eine müde, verhärmt aussehende, ziemlich ungepflegte, schlanke Frau mit einer schmutzigen Wickelschürze und einer Zigarette ohne Filter im rechten Mundwinkel aus der Küche. Die blond gebleichten Haare mit ihrem brünetten Haaransatz hatte sie provisorisch hochgesteckt. Hubert schätzte sie auf vierzig Jahre. Sie ging an den Zapfhahn, schenkte ein Bier ein, schlürfte mit ihren Holzpantoffeln quer durch die Gaststube und stellte das überschäumende Glas wortlos vor Hubert hin. Dann drehte sie sich um und sagte beim Verlassen der Wirtsstube leise, aber doch so, dass alle es hören konnten: „Faule Sau. Nichts wie Kartenspielen den ganzen Tag. Schafkopfen. Sonst hat er nichts im Kopf.“

Der Wirt tat, als habe er die Bemerkung seiner Frau nicht gehört. Er war ganz konzentriert bei seinem Spiel.

 

Hubert hingegen war sprachlos. So etwas hatte er noch nie erlebt. Er trank eigentlich nie Bier. Wenn er Alkohol trank, dann war es höchstens Martini weiß, mit einer Zitronenscheibe am oberen Glasrand. Da er sich aber nicht getraute zu reklamieren, tat er, als wäre er ein gewohnheitsmäßiger Biertrinker und nahm gleich beim ersten Ansetzen des Glases einen möglichst großen Schluck. Der Bulle sah belustigt zu ihm herüber, schien sich aber für ihn nicht weiter zu interessieren, sondern vertiefte sich gleich wieder in sein Spiel.

Copyright Abbildung: (c) Fotolia, fottoo

Josch 14.05.2017, 11.15

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