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Tabuisieren und verdrängen

Tabuisieren – verdrängen – vergessen

Vor Kurzem war ich bei der Preisverleihung des Films »TABU.auf.BRUCH«, beim Better World Filmfestival. In dem Dokumentarfilm von Johannes Ziegler geht es um Tabus rund um den weiblichen Körper. Zuerst war ich unsicher, ob ich als Mann bei der Vorführung des Films und der Preisverleihung nicht fehl am Platz wäre. Aber dann habe ich schnell festgestellt, dass eine ganze Reihe der Themen nicht nur frauenspezifisch sind, sondern dass sie gesellschaftliche Bedeutung haben. Das Thema Tabu betrifft Frauen, Männer und nicht binäre Menschen, alte und junge, und selbstverständlich auch Kinder und Jugendliche. Was jedoch sind meine persönlichen Tabus? Welche Tabus gibt es in unserer Gesellschaft? Und vor allem: Was versteht man eigentlich unter einem Tabu? In welchem Verhältnis steht tabuisieren zu verdrängen und schließlich zu vergessen?



Was bedeutet Tabu?

Im Wahrig, dem deutschen Wörterbuch, heißt es: »Das Wort stammt aus einer Eingeborenensprache Polynesiens. Für die Bewohner der Pazifikinsel Tonga ist tapu die Bezeichnung gottgleicher Dinge, die nicht berührt werden dürfen. Auf dem Weg über das englische taboo (…) gelangte das Wort als tabu mit der Bedeutung unantastbar, heilig, verboten ins Deutsche (…) In modernen Gesellschaften spricht man im übertragenen Sinn von Tabu, wenn bestimmte Themen durch stillschweigende Übereinkunft der öffentlichen Erörterung entzogen sind…« Sigmund Freud hat die Bedeutung des Themas für die Psychoanalyse mit dem Buch Totem und Tabu eindrücklich beschrieben.

 

Ungefragte Berührungen

Ich möchte und kann hier nicht alle gesellschaftlich relevanten Bereiche, die mit Tabus belegt sind, aufzählen. Was mich jedoch in dem Film besonders betroffen gemacht hat, war das Thema »jemand ungefragt zu berühren«, was häufig geschieht, besonders gegenüber Kindern. Wie schnell und wie oft wird zum Beispiel einem Kind über den Kopf gestreichelt, wird es berührt, angefasst, getätschelt etc., ohne es näher zu kennen und ohne zu wissen, ob es das überhaupt mag. Das betrifft auch Erwachsene, die oft vorschnell berührt oder umarmt werden, ohne dass man sie gut kennt. Nun können sich Erwachsene leichter solcher Umarmungen erwehren als Kinder, sei es durch die Körpersprache oder durch Zurückweichen oder indem die betroffene Person sagt, dass sie das nicht will. Aber das ist bereits der beste und effektivste Schutz vor ungewollter Berührung. Kinder dagegen sind ungewollter Berührung meist hilflos ausgeliefert.

 

Vom Tabuisieren zum Verdrängen

Das Unausgesprochene aus der Anonymität »herauszuholen« und es ans Licht zu bringen, verlangt Mut. Zaghaftigkeit und falsche Rücksicht sind Verhinderer der Enttabuisierung. Tabuisierung macht krank, behaupte ich. Es ist krank, etwas nicht auszusprechen, es letztendlich zu verdrängen. Und Verdrängung ist rückwärtsgewandt. Sie hilft nicht, sie führt nicht weiter, sie ist konservativ, sie ist gegen Veränderung, gegen Entwicklung. Politisch wird und wurde in unserer Gesellschaft schon immer vieles tabuisiert und verdrängt, vor allem die Epigonen der Naziherrschaft. Und in letzter Konsequenz führt Verdrängung zum Vergessen. Doch dann schieben sich die verdrängten und vermeintlich vergessenen Dinge im Traum an die Oberfläche. Ein Circulus vitiosus beginnt. Man kann sich nicht davor drücken, Unangenehmes anzusprechen.

 

Tabu oder dunkle Seiten?

Es gehört zur Psychohygiene, sich von Zeit zu Zeit mit den eigenen Tabus, mit den eigenen dunklen Seiten zu beschäftigen. Sie aus dem Gefängnis des Verdrängens herauszuholen und sie zu reflektieren. Jeder hat das Recht, eigene Tabus zu pflegen. Jeder darf dunkle Seiten haben. Sobald jedoch persönliche, individuelle Tabus den Mitmenschen betreffen, sollte man sie dem Verdrängen entreißen und sich ihnen stellen, ohne sich der ganzen Welt offenbaren zu müssen. Das reinigt und macht frei. Und manches Tabu darf einfach kein Tabu bleiben. Dies ist in einer heterogenen Gesellschaft unabdingbar. Gerade wenn es um körperliche, sexuelle und andersgeschlechtliche Tabus geht. TABU.auf.BRUCH heißt der Film, der mich zum Nachdenken über meine Tabus, meine Verdrängungsmechanismen, meine von Fall zu Fall mangelnde Empathie, mein Schweigen in Situationen, in denen ich etwas hätte sagen müssen, gebracht hat. Es wird wohl ein lebenslanger Prozess sein, der immer wieder zu Fluchtversuchen animieren will, um einen vermeintlich bequemeren Weg zu gehen. Aber was ist schon ein bequemerer Weg? Ich wünsche dir Mut, in dich zu gehen, Tabus aufzubrechen und befreiter zu leben …

TABU.auf.BRUCH. © Salon 13, e.V., www.salon13.at

Abbildung: © pixabay.com/andrea bencit

Josch 25.10.2024, 18.14

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