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Déjà-vu in Estaing. Fortsetzungsroman 10

Kapitel 10

Ich liege auf dem bequemen Gästebett und starre an die Wand. Der Brunello war fabelhaft. Leider waren es ein oder zwei Gläser über den Durst. Habe ich zu viel geredet? Immer wenn ich innerlich aufgewühlt bin, kann ich mich kaum beherrschen. Dann sinkt meine Schamgrenze, und ich rede und rede, wofür ich mich hinterher oft schäme. Manchmal komme ich mir wie ein kleiner Junge vor.

Magdalena hat in diesem wunderbaren Restaurant ganz schön mit mir geflirtet. Ob sie meine Unsicherheit bemerkt hat? Jedenfalls hat sie mich nicht spüren lassen, wie ahnungslos ich doch im Grunde bin, wenn es um wirklich wichtige Dinge im Leben geht.



Ihre Geschichte ist unglaublich: Wie verdammt übel man ihr doch mitgespielt hat. Ob Hagens Familie wirklich so eiskalt ist? Ich konnte ihr gar nicht zeigen, dass mich ihre Worte innerlich sehr bewegt haben, dass diese Begegnung mit Hagen Wandel in mir immer noch nachbebt. Ich bin der Ursache dieser steten Unruhe bis heute nicht richtig auf den Grund gekommen, was irgendwie seltsam ist.

Unsere Begegnung vor knapp 20 Jahren steht wieder ganz plastisch vor mir. Wer hatte eigentlich den ersten Schritt getan? War es nicht Lenas Vorschlag, noch einen kleinen Drink in der Hotelbar zu nehmen? Dann waren es nur noch ein paar Schritte zum Aufzug, und wir landeten in ihrem Zimmer. Eigenartig, aber ich hatte hinterher gar kein schlechtes Gewissen. Ich war mir ganz sicher, dass diese Begegnung für meine Ehe keine Gefahr darstellt. Es lag vor allem an Magdalenas Souveränität. Sie genoss den Abend mit einem wesentlich jüngeren Mann, was mir ein unglaublich gutes Gefühl gab. Ich verließ am nächsten Morgen das Hotel, getragen von dem wunderbaren Erlebnis und beflügelt von unserer leidenschaftlichen Hingabe, der wir uns nicht zu schämen brauchten. Die Nacht verlieh mir eine geradezu faunische Energie. Noch wochenlang war ich wie ausgewechselt. Die Nacht schien sogar dem Liebesleben in meiner Ehe einen Schub zu geben. Wieso hätte ich da Schuldgefühle haben sollen?

 

Nun liege ich hier und spüre ihren Worten nach. Sie spricht von Hagen, als lebte er noch. Was war das doch für eine große Liebe! Nicht körperlich, wie sie betonte, doch gab es keinen Menschen in ihrem ganzen Leben, der sie so annahm, wie sie war, von dem sie sich bis in ihren innersten Kern verstanden fühlte, der ihr all das gab, was sie fantasierte, wünschte und träumte. Er konnte loslassen, konnte ihr den Raum geben, den sie zum Leben brauchte. Warum sie ihn immer noch so idealisiert, ist mir dennoch ein Rätsel.

Sie hatten sich an der Akademie in Stuttgart kennengelernt, an der er damals lehrte. Hagen hatte bei unseren Begegnungen in Estaing gar nicht erwähnt, dass Magdalena an der Kunstakademie bei ihm Plastik und Bildhauerei studiert hatte. Dabei waren sie sich nähergekommen. Es sollte eine lange, existenzielle Verbindung werden, aus der Hagen sich dann durch diesen mysteriösen Suizid befreite. Aber warum er das getan hat, bleibt ein Geheimnis. Ich würde diesen Schleier gern lüften und das Rätsel, das mich mit ihm verbindet, lösen. Was hat dieses plötzliche Entschwinden Hagens mit meiner Geschichte zu tun? Warum beschäftigt mich das nach so vielen Jahren noch?

Bevor ich einschlafe, schreibe ich Katharina eine SMS, dass ich morgen gegen 18:00 Uhr zurück sein werde. Ich lebe zwischen den Zeiten, bin hin- und hergerissen und nirgends angekommen. Vor allem die zwei Wochen in Estaing schweben wie eine Fermate über meinem Leben.

 

Ich erwache aus unruhigem Schlaf und stelle fest, dass ich immer noch angezogen bin. Aber was war das für ein eigenartig quälender Traum?

 

Ich sitze im Auto auf der Fahrt nach Hause, zu Katharina. Es ist Nacht. Keine Menschenseele ist unterwegs. Eine Straße ist gesperrt. Ich entschließe mich, das Auto stehen zu lassen und mit der U-Bahn weiterzufahren. Es fährt aber keine mehr. Ich setze den Weg zu Fuß fort. Da geht Magdalena plötzlich neben mir. Wir laufen durch eine weitere Straße, die für den Verkehr gesperrt ist. Zu beiden Seiten ragen hohe Mauern und Häuser auf, aus denen kein Licht auf die Straßen dringt. Ich weiß, dass wir von Kameras gefilmt werden, und ängstige mich deswegen. Auf einmal werden wir von einem fremden Mann verfolgt. Er sieht aus wie Hagen Wandel. Ich gehe schneller und ziehe Magdalena mit mir, die sich immer wieder nach Hagen umdreht. Am Ende der Straße ist eine Lichtsperre vor einem hell erleuchteten Haus aufgebaut. Hagen ruft uns zu, wir sollen stehen bleiben. Ich habe aber bereits die Sperre überschritten. Gas und Nebel strömen aus schmalen Öffnungen der Mauer. Polizei eröffnet das Feuer und erschießt Hagen und Magdalena. Ich kann hinter eine Litfaßsäule flüchten und den Verfolgern entkommen. Als ich davonlaufe, begegne ich vielen Menschen, die mir zuwinken und freundlich lächeln. Ich weiß, dass ich langsamer gehen muss, sonst wird man mich verdächtigen, Hagen und Magdalena ermordet zu haben. Endlich komme ich zu Hause an, wo mich Katharina mit zwei Kriminalpolizisten erwartet. Da weiß ich, dass ich keine Chance habe, meine Unschuld zu beweisen, weil es außer mir keinen Überlebenden gibt. Ich habe große Angst.

 

Ich liege mit schweißnasser Stirn da und denke über den Traum nach, dessen Geheimnis sich mir einfach nicht erschließen will. Von bleierner Müdigkeit übermannt, sinke ich erneut in einen traumlosen Schlaf.

Am Morgen, bevor ich mich ins Gästebad begebe, klappe ich mein iPad auf, um schnell die Mails zu checken. Da sehe ich, dass mir Katharina noch mal geschrieben hat: Sie bittet mich, mir ausreichend Zeit für das Gespräch mit Magdalena zu nehmen. So kenne ich meine Frau gar nicht. Worum es ihr wohl gehen mag? Erneut drängen sich die Bilder dieses nächtlichen Traums nach vorn und überdecken die Realität. Warum wurde Hagen Wandel in dem Traum umgebracht? War sein Tod doch kein Selbstmord? Mein Denken dreht sich im Kreis.

 

Josch 17.01.2017, 00.00

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