Einfach zum Nachdenken

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Ausgewählter Beitrag

„Ach würdest du dich doch in mich verlieben!“

Dieser Tage habe ich den Tweet einer Frau gelesen, die wehmütig beklagte, dass sie als Frau über 40 von jungen Männern nicht mehr wahrgenommen werde. Offenbar existiere sie für Zwanzigjährige nicht mehr. Aber ist dies nicht normal? Ich hätte gern gewusst, ob sie sich anders verhalten habe, als sie 20 war, ob sie Männer über 40 interessiert haben, wenn es nicht gerade Stars, der Lehrer, ein Dozent, der Chef oder der eigene Vater waren.



Es ist eine schmerzliche Erfahrung, nicht (mehr) gesehen zu werden, gar keine Frage. Aber dies ist nun mal der Lauf der Welt.

Leidvoll sind solche Erfahrungen oder Einsichten dann, wenn man von diesen zwanzigjährigen Ignoranten etwas will, wenn man Erwartungen an sie hat, wenn man sich meinetwegen als Vierzigjährige nach einem erotischen Abenteuer mit einem Zwanzigjährigen sehnt. Um die Lebenserfahrung, die Ansichten und das Denken eines solch jungen Mannes wird es dabei wohl eher nicht gehen, so vermute ich einmal.

Ich selbst bin das, was man früher einen grauen Panther nannte. Zu meinem Freundeskreis gehört eine junge Frau, Mitte 40, ledig, studiert, sehr hübsch, sehr intelligent, mit einem großen Freundes- und Bekanntenkreis – ich nenne sie mal Katharina (weil das ein zeitloser Name ist; auch meine Großmutter hieß schon so) –, die es bis ins Mark erschüttert, wenn sie bei einem Dreißigjährigen nicht mehr ankommt, wenn sie keine Chancen hat, wenn dieser also an einem erotischen Abenteuer mit ihr kein Interesse hat. Und das hat Katharina schon mehrmals erfahren müssen. Und die Männer, die liebend gern mit ihr eine Beziehung hätten, sind meist jenseits der 50. Leider sind deren Körper nicht mehr ganz so frisch und knackig, und sexuell können „alte Knacker“ natürlich mit jugendlichen Zwanzigern bei Weitem nicht mithalten, wie uns das Leben lehrt.

Ist so eine Einstellung nicht fatal, oder besser: infantil? Die junge Frau geht an den Menschen vorbei, die an ihr Interesse haben, die ihr etwas geben könnten, von deren Erfahrung sie profitieren würde, weil es ihr ausschließlich um den sexuellen Kick geht. Dabei hat Sex auf Augenhöhe doch auch etwas, kann ganz neue Dimensionen erschließen.

Ist der Wunsch nach dem schnellen sexuellen Kick letztendlich nicht die unstillbare Sehnsucht nach totaler Erfüllung? Der Wunsch, die Zeit möge still stehen: „Werd ich zum Augenblicke sagen, verweile doch, du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehn!“, wie Faust sagt?

Ich will nicht behaupten, dass mir solche Träume oder Fantasien fremd seien. Es gab und es gibt immer wieder Situationen in meinem Leben, da wünschte und wünsche ich mir auch, die Zeit möge stehen bleiben. Aber Menschen lassen sich in der Regel nicht funktionalisieren. Wenn wir ehrlich zu uns sind und auf unsere Wünsche und Sehnsüchte hören, dann kommen wir sehr schnell auf die darunter liegenden Schichten, auf unsere wahren Bedürfnisse. Und diese lassen sich in der Regel nicht auf den Wunsch nach ewiger Jugend, vollkommener Gesundheit, unbegrenzter Zeit etc. reduzieren. Oft geht es lediglich um das Bedürfnis, so angenommen zu werden, wie man ist, ob mit glatter oder mit runzliger Haut. Es geht um das Bedürfnis, ohne Wenn und Aber geliebt zu werden, trotz aller Ecken und Kanten. Es geht um den Wunsch, einen Menschen zu haben, auf den man sich verlassen kann, bei dem man sich fallen lassen kann, bei dem man sich nicht verstellen muss, der mich auch annimmt, wenn ich wütend oder aggressiv oder traurig oder mürrisch bin, der nicht das Weite sucht, wenn ich einmal nicht seiner Meinung bin, der sich nach einem Streit wieder mit mir versöhnt, der mir verzeiht.

Es geht um diese sozialen Grundbedürfnisse, die zwar den Kick der sexuellen Erfüllung nicht ersetzen, die aber in der Sehnsucht nach dieser Erfüllung zum Ausdruck kommen. Gegen Beziehungen mit großen Altersunterschieden gibt es überhaupt nichts einzuwenden. Die sind so normal wie Beziehungen unter nahezu Gleichaltrigen.

Als allmählich in die Jahre gekommener, älterer Mensch kann man immer auf innere Bilder zurückgreifen: Wie war es, als ich 20 war? Mit wem war ich zusammen? Was habe ich damals empfunden, erlebt? Wie habe ich mich in dieser oder jener Beziehung gefühlt? Möchte ich diese Zeit noch einmal durchleben? Was macht mein Leben heute reich? Was müsste in meinem Leben passieren, damit ich nicht in unerfüllbarer Sehnsucht versinke und zugrunde gehe. Schaffe ich diese Veränderungen allein oder brauche ich Unterstützung, einen Menschen, der auch in solchen Phasen zu mir hält.

Das scheinen mir die entscheidenden Fragen zu sein, die mein Leben verändern können, die ihm Farbe und vielleicht sogar den besagten Kick geben können, allerdings nur, wenn ich mich auf das Überraschende, was nahezu täglich in mein Leben tritt, einlasse und es zulasse.

Dann allerdings sind solche Erkenntnisse, dass ich von wesentlich jüngeren Menschen nicht zur Kenntnis, nicht wahrgenommen werde, eher belustigend, weil sie mir meine eigene Jugend spiegeln. Und das führt mich auf meinen wahren, eigentlichen inneren Reichtum zurück...

Josch 24.06.2016, 14.59

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Julia Feldbaum

Man muss da hinschauen, wo man gesehen wird ... zu Gleichgesinnten, zu Menschen, die einem ähnlich sind ...

vom 24.06.2016, 21.44
Antwort von Josch:

Das ist sicher auch eine Möglichkeit, eventuellen Kränkungen durch das Nicht-beachtet-Werden vorzubeugen. Prinzipiell darf mein Selbstwertgefühl nicht davon abhängen, ob mich ein bestimmter Mensch beachtet oder nicht. Wenn das so wäre, hat das immer auch Ursachen in der frühen Kindheit ...
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