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„Zeugnis von den Qualen ablegen“: Geschwister-Scholl-Preis 2016

Die Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises ist für mich seit vielen Jahren ein ganz besonderes Ereignis. Seit fast 30 Jahren darf ich nun schon an den Preisverleihungen teilnehmen, bei der bedeutende Werke von Belletristik über Essays, wissenschaftliche Untersuchungen bis hin zu Dokumentationen ausgezeichnet werden. Der Preis erinnert an den mutigen Widerstand von Hans und Sophie Scholl gegen die Schreckensherrschaft der Nazis.

„Der Geschwister-Scholl-Preis wird verliehen für ein Buch, das geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen, intellektuellen und ästhetischen Mut zu fördern und dem verantwortungsvollen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben“, so steht es in den Statuten.

Der erste Preisträger war Rolf Hochhuth. Er bekam 1980 den Preis für sein Buch „Eine Liebe in Deutschland“. Seither gab es 37 Preisträger. Was mich am Geschwister-Scholl-Preis überrascht und fasziniert, ist die Tatsache, dass es immer wieder Menschen gibt, die mit ihrem Mut, ihrem Eintreten für bürgerliche Freiheit, ihrer Zivilcourage in besonderer Weise an den Widerstand der Weißen Rose erinnern. Hans und Sophie Scholl wurden wegen ihres Widerstands am 22. Februar 1943 in München hingerichtet. Deswegen wird der Preis vom Verband der Bayerischen Verlage und Buchhandlungen zusammen mit der Stadt München verliehen. Er ist mit 10.000 Euro dotiert.

Einige Preisträger, die mich in ganz besonderer Weise berührt haben, waren zum Beispiel Wolfgang Sofsky für „Die Ordnung des Terrors: das Konzentrationslager“ (1993), Joachim Gauck für „Winter im Sommer – Frühling im Herbst“ (2010), Jürgen Dehmers für „Wie laut soll ich denn noch schreien? Die Odenwaldschule und der sexuelle Missbrauch“ (2012) und Glenn Greenwald für „Die globale Überwachung. Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen“ (2014).

Wolfgang Sofsky beschrieb zum Beispiel in seiner Dankesrede verschiedene Haltungen der Zuschauer und Wegseher: „Da sind zunächst die Unbeteiligten. Sie gehen am Ort des Geschehens vorüber, werfen allenfalls einen Blick zur Seite. Der Unbeteiligte schaut nicht hin, er sieht zu, dass er weiterkommt.“ Dann gibt es den „interessierten, bisweilen neugierigen Zuschauer. Auch er mischt sich nicht ein, bleibt am Ort der Gewalt. Er zieht die Vorhänge nicht ganz zu, sondern späht aus sicherem Fensterwinkel auf die Straße.“ Nach Sofsky geht es „dem interessierten Beobachter nicht nur um Information“, vielmehr sei sein Antrieb „der Nervenkitzel des Ungewöhnlichen, die Angstlust der Gewalt, die Aussicht auf ein Spektakel der Barbarei (...) Vom Beobachter zum begeisterten Zuschauer ist es nur ein kurzer Schritt“ (aus: Dankrede zur Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises 1993).

Mich hat diese Rede damals sehr berührt, sie hat mich mit mir selbst konfrontiert. Was wäre ich oder besser: Was bin ich für ein Beobachter? Halte ich mich auch aus dem Geschehen heraus? Oder mische ich mich ein? Wie hätte ich mich verhalten, hätte ich im Nationalsozialismus gelebt? Wahrscheinlich wäre ich ein Mitläufer gewesen, so wie es Abermillionen gegeben hat.

Deswegen ist dieser Preis für mich persönlich so wichtig: Er konfrontiert mich immer wieder aufs Neue mit meiner Lethargie, wo es ums Aufbegehren geht, um den Widerspruch, um ein Nein zu den Dingen, die nicht in Ordnung sind.

In diesem Jahr ging der Geschwister-Scholl-Preis an die französische Journalistin Garance Le Caisne für ihr Buch „Codename Caesar. Im Herzen der syrischen Todesmaschinerie.“ Es „erzählt die Geschichte eines syrischen Militärfotografen (...), der Zehntausende seiner Fotos von den Ermordeten aus den Kerkern des Assad-Regimes kopiert und außer Landes geschmuggelt hat.“ Der anonyme Caesar hat zwei Jahre lang sein Leben riskiert, und zwar täglich, ja sogar heute noch, denn er muss an einem unbekannten Ort leben, da er seines Lebens nicht mehr sicher ist. Garance Le Caisne hat sein Vertrauen gewonnen, hat ihn über Monate hinweg interviewt und seine Geschichte aufgeschrieben. Während die Terroristen des sogenannten Islamischen Staats demonstrativ in aller Öffentlichkeit morden, geschieht das Morden des Assad-Regimes in aller Heimlichkeit. Le Caisne benennt mit ihrem Buch diese Verbrechen. Dies geschieht unter größtem Risiko, unter Gefahr für ihr Leben. „Jeden Tag hörte ich die Stimmen der Opfer, die ihr Leid herausschrien, um zu erzählen, was in den Gefängnissen geschieht. Niemand war da, um es zu bezeugen, niemand antwortete ihnen. Diese Toten haben mir die Verantwortung auferlegt, Zeugnis von ihren Qualen abzulegen, vor ihren Familien, der Menschheit und der freien Welt“, so Caesar, der Fotograf des Grauens.

Zur Begründung des Preises heißt es unter anderem: „Menschen wie Caesar und die Journalistin Garance Le Caisne, die ihm eine Stimme gibt, sind unverzichtbar, wenn man die inneren Mechanismen einer Diktatur verstehen will und wenn den Opfern eines Tages Genugtuung verschafft werden soll.“

„Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und von dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique 'regieren' zu lassen“, heißt es im ersten Flugblatt der Weißen Rose. Und im Flugblatt II: „Ein jeder will sich von einer solchen Mitschuld freisprechen, ein jeder tut es und schläft dann wieder mit ruhigstem, bestem Gewissen. Aber er kann sich nicht freisprechen, ein jeder ist schuldig, schuldig, schuldig!“ Wie aktuell doch diese Worte bis heute sind. Und deswegen ist der Geschwister-Scholl-Preis für mich so bedeutsam.

Garance Le Caisne: Codename Caesar. Im Herzen der syrischen Todesmaschinerie. C.H. Beck Verlag, München 2016.

Josch 22.11.2016, 21.39

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Steemit

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vom 23.11.2016, 15.54
Antwort von Josch:

Ich bin mit der Anmeldung leider nicht zurechtgekommen. Es war mir zu kompliziert. Leider
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