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Andrej Kurkow: Tagebuch einer Invasion

Geschwister-Scholl-Preis 2022: Andrej Kurkow

Der Geschwister-Scholl-Preis wird vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels Bayern zusammen mit der Landeshauptstadt München vergeben. Der ukrainische Autor Andrej Kurkow, geboren am 23. April 1961 im Verwaltungsbezirk Leningrad, schreibt in Russisch. Er lebt seit seiner Kindheit in Kiew und ist seit 1988 Mitglied des Londoner Pen-Clubs.

Die Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises – in diesem Jahr am 28. November – ist für mich schon seit 1990 mit nur wenigen Unterbrechungen ein Höhepunkt des literarischen und gesellschaftlichen Lebens. Der Geschwister-Scholl-Preis zeichnet jährlich ein Buch aus, »das von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen, intellektuellen und ästhetischen Mut zu fördern und dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben«. Kurkows Buch erinnert im weitesten Sinn an das Vermächtnis von Hans und Sophie Scholl.



Programm und Rahmen der Verleihung

Die Preisverleihung findet traditionell in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität in München statt, der Universität, an der die Geschwister Scholl studierten und wo sie 1943 ihre Flugblätter gegen den Krieg und die faschistische Diktatur verteilten, was schließlich nur vier Tage nach ihrer Verhaftung zur Verurteilung und Enthauptung durch das Naziregime führte. Sie beginnt traditionell mit der Begrüßung durch den Präsidenten der Universität als dem Gastgeber der Preisverleihung. In diesem Jahr übernahm diese Aufgabe Oliver Jahraus, Stellvertreter von Bernd Huber, dem Präsidenten der Universität, der in diesem Jahr verhindert war. Professor Jahraus nutzte die Begrüßung und erinnerte an die gesellschaftliche und politische Relevanz der Universität damals wie heute. Er zeigte in seiner kurzen Rede, welch wichtigen Impulse von der Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises für die Gesellschaft ausgehen.

Auch Oberbürgermeister Dieter Reiter war in diesem Jahr verhindert. Er wurde von Katrin Habenschaden, der Zweiten Bürgermeisterin der Landeshauptstadt München, vertreten. Und auch sie war für mich mit ihrer sehr persönlichen und freien Rede ein Gewinn bei dieser Veranstaltung.

 

Das Buch

Im »Tagebuch einer Invasion« beschreibt Andrej Kurkow das Leben in der Ukraine Monate vor dem Überfall durch Russland. Es ist »ein Land voller Eigensinn und Selbstironie, voller Anarchie und Zukunftsfreude, dass man es spätestens nach der Lektüre bedauert, es nicht eher und nicht aufmerksamer zur Kenntnis genommen zu haben“, führt Sonja Zekri in ihrer Laudatio aus. Und weiter: »In den Tagen vor dem 24. Februar wird in der Nähe von Odessa ein ein Stück Land für einen ukrainischen Raumflughafen ausgewählt. Ein Verleger in Odessa … hat doch noch ein paar Tonnen Papier aufgetrieben, um vier Ibsen-Bände zu drucken. Eine Kunsthistorikerin hat eine Kampagne gestartet, um Ukrainisch als Sprache der Erotik zu popularisieren – im Gegensatz zu Russisch«. »Es gibt also jede Menge Gründe zur Annahme, dass der Ukraine eine glänzende Zukunft bevorsteht«, so Kurkow in seinem Buch.

 

Korrelationen mit der Weißen Rose

Und Andrej Kurkow verwies in seiner Rede darauf, dass während der gesamten neun Monate der Besetzung Chersons in der Stadt die patriotische Untergrundorganisation »Gelbes Band« operierte, deren Mitglieder unter hohem persönlichen Risiko jeden Tag patriotische Flugblätter und Plakate in der Stadt aufgehängt, russische Fahnen abgehängt und ukrainische aufgehängt haben. Am meisten hätten ihn die Flugblätter des Gelben Bandes beeindruckt, auf denen ein einzelner Buchstabe »i« abgebildet war, Symbol des Widerstandes, ein Buchstabe, der die Besatzer wütend machte und in Rage brachte. »Die Verleihung dieses Ehrenpreises hat mich in die Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in Deutschland vor und während des Zweiten Weltkriegs zurückversetzt«, so Andrej Kurkow.

Klaus Füreder, Vorstand des Landesverbands des Deutschen Buchhandels, zitierte in seiner Rede aus dem fünften Flugblatt der Weißen Rose: »Freiheit der Rede, Freiheit des Bekenntnisses, Schutz des einzelnen Bürgers vor der Willkür verbrecherischer Gewaltstaaten, das sind die Grundlagen des neuen Europa.« Besser kann man den Zusammenhang des geistigen und gesellschaftlichen Engagements der Geschwister Scholl und Andrej Kurkow nicht herstellen, was schließlich der Grund für die Preisverleihung darstellt.

Die Preisverleihung wird mit einem Stehempfang in der Eingangshalle der Universität abgerundet, bei dem die geladenen Teilnehmer miteinander, mit dem Preisträger, der Laudatorin, der Bürgermeisterin und dem Vorstand des Landesverbands ins Gespräch kommen können.

 

Andrej Kurkow: Tagebuch einer Invasion. Haymon Verlag, Innsbruck 2022. ISBN 978-3-7099-8179-5. 352 Seiten. Klappenbroschur. LP 19,90 €

 

Andrej Kurkow wurde 1961 in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg geboren. Er lebte bis zum Angriffskrieg in Kiew. Kurkow studierte Fremdsprachen, war Zeitungsredakteur und Kameramann. Er ist freier Schriftsteller und Präsident des Ukrainischen Pen-Clubs. Er arbeitet für Radio und Fernsehen.

Josch 07.12.2022, 15.34

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Christel Boßbach

Danke für die Verbindungen, die zur Geschichte geknüpft werden, und die poetisch-kleinen Beispiele von Freiheit, Kreativität und Zukunftshoffnung - denn selbst der Weltraumbahnhof ist derzeit nicht mehr als ein Stück Land. Und Papier und Schrift, selbst einzelne Buchstaben erweisen sich als mächtig.

vom 09.12.2022, 16.40
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