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Das zutreffende Wort

Der Kampf um den richtigen Ausdruck

Es ist mir ein Bedürfnis, wieder einmal über die deutsche Sprache nachzudenken. Ich habe mich nahezu mein ganzes Leben an Stil, Grammatik, Syntax und Interpunktion abgearbeitet und dabei immer wieder mit den gleichen Problemen und Konflikten gekämpft. Ich muss immer noch den inneren Kampf überwinden, wenn ich als Lektor in einen fremden Text eingreife und ihn bearbeite, weil ein Verlag mich damit beauftragt hat, also wünscht, dass ich den Text verbessere. Doch ich bin einfach unsicher. Besonders stark wird der Konflikt, wenn ich allgemein und vielfach verwendete unschöne oder umgangssprachliche, teilweise falsche Formen verbessere bzw. ersetze. Darf ich das? Aber stehen lassen kann ich die mich störenden Ausdrücke oder Wendungen auch nicht. Das würde meinen inneren Zwiespalt nur auf eine andere Ebene verlagern, und ich würde mir vorwerfen, keine gute Arbeit geleistet zu haben. Was also tun?



Sprache in den sozialen Medien

Das sind Probleme, die niemand interessieren. Denn die Anzahl der Menschen, die Bücher lesen, nimmt seit Jahrzehnten kontinuierlich ab. So gaben 2018 lediglich 8,5 Prozent der Menschen an, einmal am Tag in einem Buch zu lesen, 5 Prozent lesen alle zwei Wochen einmal, zwischen 30 und 40 Prozent lesen selten, die allermeisten Menschen in Deutschland dagegen lesen überhaupt keine Bücher. Da aber ein weitaus größerer Anteil der Menschen – vor allem jüngere – soziale Medien nutzt, stellt man dann als Mensch, der sein Leben mit Büchern und Manuskripten verbracht hat, mit Entsetzen fest, wie sich Nichtlesen auf die Sprache bzw. die Kommunikation auswirkt. Da braucht man nur einmal Anzeigen auf ebay, Postings und Threads auf Instagram, Facebook und Twitter zu lesen, dann weiß man, was ich meine.

Dieter E. Zimmer hat sich damit bereits vor 15 Jahren in seinem wunderbaren Buch „Sprache in Zeiten ihrer Unverbesserlichkeit“ beschäftigt, in dem sich eine ganze Reihe einschlägiger Posts findet, und aus dem ich zur Illustration folgendes Beispiel zitieren möchte:

ja das ist war … wenn man gut ist dänken das du Cheates wirst alls cheater bezeichnet und kannst nix machen das ist scheisse … ich spiele ja (medal of honor) und (cod) bei mohaa sind auch Cheater die cheaten die sind alle krank ich weiss nicht warum die Cheaten ich weiss nicht warum aber die sind in mein augen krank … ich finde das feige mann kann kein spiel meer spielen da sind alles nur Cheater … wenn das ein Cheater list ist ein arschloch Scheiss Cheater sind alles nur lackaffen“

(S. 66).

Wenn ich solche Texte lese, frage ich mich, warum Verlage Manuskripte überhaupt noch lektorieren und korrigieren lassen. Wie unbedeutend ist es doch, wenn ich zum Beispiel Wendungen, wie „das macht keinen Sinn“ korrigiere, wo doch jeder zweite Moderator, Politiker oder Journalist vom „Sinn machen“ spricht. Dabei handelt es sich um eine falsche Übersetzung aus dem Englischen: to make sense heißt eigentlich „zusammenreimen“, „Hand und Fuß haben“, „Sinn ergeben“ und nicht Sinn machen. Sinn kann man nicht machen.

Viele Wendungen sind umgangssprachlich, von gerne statt gern, über selber statt selbst, bis hin zur falschen Schreibung von Komposita, Beispiel „in-den-April-schicken“ statt „In-den-April-Schicken“ und vieles mehr.


Der Oberlehrer in mir

Ich habe mich schon oft gefragt, ob ich nicht zu oberlehrerhaft bin. Wobei ich doch nie Lehrer war. Oder ist eher meine Angst, eventuell von kompetenten Sprechern des Deutschen mit meinen Fehlern konfrontiert zu werden? Wenn es so wäre, sollte ich dann nicht eher einen Psychologen aufsuchen? Oder kommt da nur der Perfektionist zum Vorschein?

Jedenfalls kann ich über die vielen sprachlichen Ungenauigkeiten und Fehler, die falsch oder nicht gesetzten Kommata nicht einfach hinwegsehen. Ich muss korrigierend eingreifen. Ich kann einfach nicht anders. Auch wenn es sich um Wendungen handelt, die verständlich sind, jedoch ungenau oder stilistisch nicht korrekt sind. Ein Korrektor sagte einmal: „Auch wenn es viele falsch machen, wird es dadurch nicht richtiger.“

Es lohnt sich, den Rat Dieter E. Zimmers zu beherzigen: „Verhindern lässt sich das (gemeint sind die vielen Patzer und Fehler in Manuskripten, Anmerk. von mir) nur, wenn viele die Fehlübersetzung durchschauen und sich ihr widersetzen, indem sie ihren eigenen Sprachgebrauch davon freihalten.“ (S. 123)

Übrigens ein tolles Buch mit vielen Beispielen, die das Problem „Sprache“ eindrucksvoll illustrieren. Ich mag solche Bücher von Autoren, die sich mit dem Thema Sprache, Stil und Verständlichkeit beschäftigen, wie zum Beispiel Sebastian Sick, Dieter E. Zimmer, Wolf Schneider, Theodor Ickler, Thomas Steinfeld, Dietmar Wischmeyer, Andreas Thalmayr (eigentlich Hans Magnus Enzensberger), Detlef Esslinger und auch ältere Veröffentlichungen, wie zum Beispiel von Ludwig Reiners.

Ich mache selbst auch Fehler, auch nach über 40 Jahren als Lektor und Redakteur. Dies wird mir immer vor Augen geführt, wenn mein lektorierter Text nach der Korrektur wieder auf meinem Desktop bzw. Schreibtisch landet. Es ist irgendwie beunruhigend und doch auch tröstlich, dass ich letztlich nie auslerne. Sprache ist schließlich nichts Starres und unterliegt einem ständigen Wandel, sie verändert damit auch mein Denken.

Josch 14.07.2021, 17.45

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Christel Boßbach

Mich trifft der Schlag, wenn ich fast täglich in der "Tagesschau" um 20 Uhr höre, dass "der Weg freigemacht wurde" - für Gesetze, für Ausbildungen, für... Würde dem Erfinder für jede Verwendung seines Werbeslogans 5 Euro gezahlt, er wäre steinreich...und brauchte die Bausparkasse nicht. Ganz schrecklich wird es, wenn Erdogan "den Weg freigemacht hat" für eine Kriegsbeteiligung. Da fehlen mir die Worte und ich weiß nicht mal mehr wie und wo.

vom 17.07.2021, 12.31
Antwort von Josch:

Das ist ungeheuerlich. Und damit werden dann diese Worthülsen allgemeiner Sprachgebrauch.


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