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Die Kostbarkeit jedes Augenblicks genießen

Wie man die Angst vor dem Tod überwindet

Bei der Suche nach einem Buch über den Stamm der Seneca-Indianer und ihre Langhäuser stieß ich auf Irvin D. Yaloms Buch „In die Sonne schauen“. Ich blätterte darin, las mich fest und war sofort wieder davon fasziniert, wie schon vor etlichen Jahren, als ich es zum ersten Mal las. Die zentrale Botschaft des Buches ist, dass der Grund aller Ängste die Angst vor dem Sterben sei und dass uns die Furcht vor dem Tod ein Leben lang begleite.

Yalom, einer der bedeutendsten Psychotherapeuten der Gegenwart, empfindet die Philosophen für seine Arbeit hilfreicher als psychoanalytische Fachliteratur. Vor allem Epikur hat es ihm angetan, der schon 300 vor Christus unsere allgegenwärtige Furcht vor dem Tod als die Grundwurzel allen Elends betrachtete. Siehe auch die wunderbare Erzählung „Der Tod des Iwan Iljitsch“ von Leo Tolstoi, in dem der Sterbende Protagonist sich in der allerletzten Phase seines Lebens sich seines Seins bewusst wird. Er entdeckt sein Mitgefühl für seine Familie, die ihn ertragen musste und die er quälte, und kann dadurch in der Freude des intensiven Mitgefühls in Ruhe sterben.



Der Weckruf des Todes, wie Yalom die bewusste Konfrontation mit dem Tod nennt, kann ein nützlicher Katalysator für große Veränderungen im Leben werden. Dieser Weckruf kann ein runder Geburtstag sein, der Verlust eines nahestehenden Menschen, ein verheerendes Trauma oder der Verlust der Arbeitsstelle. Es kann aber auch ein starker Traum sein.

 

Der Weckruf des Todes

Wenn man sich diesem Weckruf und den damit verbundenen Veränderungen stellt, kann man sich mit der eigenen Endlichkeit ohne Angst befassen. Den meisten Menschen sind ihre Todesängste nämlich gar nicht bewusst. Es geht um die Sterblichkeit der Seele und das ultimative Nichts. Wenn wir sterblich sind und die Seele nicht überlebt, dann haben wir in einem Leben nach dem Tod auch nichts zu fürchten. Wir werden kein Bewusstsein haben, kein Bedauern hinsichtlich des Lebens, das wir verloren haben, noch haben wir irgendetwas von den Göttern zu fürchten.

Was aufgelöst ist, kann nicht wahrnehmen, und was nicht wahrgenommen wird, ist für uns nichts. Wo ich bin, ist der Tod nicht. Wo der Tod ist, bin ich nicht. Warum also den Tod fürchten, wenn wir ihn niemals wahrnehmen können?

Das meines Erachtens stärkste Argument aber findet sich darin, was  Epikur „Symmetrie“ nennt. Dies besagt, dass unser Zustand des Nichtseins nach dem Tod derselbe sei wie der vor unserer Geburt. Ich persönlich könnte mich mit dem Gedanken an ein Leben nach dem Tod nicht trösten, weil die Idee einer endlosen Existenz, ob angenehm oder unangenehm, für mich viel erschreckender ist als die einer endlichen Existenz.

Ein sehr schöner Gedanke ist das Argument gegen die Sinnlosigkeit des Lebens, das dann sticht, wenn man sich bewusst macht, dass das Leben vergänglich und endlich ist. Dann jedoch ist die Erfahrung, dass man für irgendjemand schon einmal wichtig war, direkt oder indirekt, sehr wichtig. Mir fiel beim Lesen dieses Abschnitts des Buches die Theaterarbeit ein: Theater geschieht nur im konkreten Augenblick, es wird nicht auf einem Film festgehalten, sondern wirkt nur im Moment, und dieser Augenblick ist vergänglich. Und dennoch kann eine Szene fortwirken und wie in Ewigkeit bleiben. Dieses Wissen lindert den Schmerz über die Vergänglichkeit, denn wir werden daran erinnert, dass von jedem von uns etwas überdauert, auch wenn wir nichts davon wissen.


Die Vergänglichkeit ist der Verlust von Alternativen

Eine positive Veränderung kann nur geschehen, wenn man dazu steht, dass der Grund, warum man nicht gut lebt, nicht außerhalb von einem selbst liege, sondern dass man einzig und allein selbst für die Art und Weise seines Lebens verantwortlich sei. Ich selbst und nur ich allein bin für die entscheidenden Aspekte meines ganz persönlichen Lebens verantwortlich.

1. Was wir haben: Materielle Güter sind ein Trugbild. Je mehr man besitzt, desto mehr möchte man haben.

2. Was wir in den Augen anderer darstellen: Fast die Hälfte aller Bekümmernisse und Ängste gehen aus unserer Sorge über die Meinung anderer hervor. Dabei können wir nie wissen, was sie tatsächlich denken.

3. Was wir sind: Nur was wir sind, zählt wirklich. Ein gutes Gewissen zählt mehr als ein guter Ruf. Das größte Ziel sollte Gesundheit und intellektueller Reichtum sein.

 

Todesangst kann man durch Beziehung überwinden

Es gibt zwei Arten von Einsamkeit: die tägliche und die existenzielle. Einsamkeit ist häufig verbunden mit der Angst vor Intimität und Ablehnung, Scham oder der Angst, nicht liebenswert zu sein. Es gibt keine schlimmere Strafe, als jemand vollkommen aus der Gesellschaft auszuschließen. Und das Wissen, dass uns niemand auf unserer trostlosen Reise in den Tod wirklich begleiten kann. Empathie ist das mächtigste Werkzeug, das uns zur Verfügung steht, um mit anderen Menschen eine Beziehung einzugehen.

Im Allgemeinen ist es an der sterbenden Person, die Führung zu übernehmen, über die Ängste vor dem Tod zu sprechen. Man kann jemandem, der dem Tod gegenübersteht, keinen größeren Dienst erweisen, als ihm die reine Anwesenheit anzubieten.

Viele Menschen, die mit sterbenden Patienten arbeiten, haben festgestellt, dass sie da, wo sie engagiert waren, auch solche Menschen plötzlich und auf verblüffende Weise erreichen konnten, die zuvor distanziert waren.

Man kann von dieser Welt nichts mitnehmen, was man erhalten hat, und man kann von dieser Welt nur mitnehmen, was man gegeben hat. Entscheidend für die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod sind immer einschneidende Erfahrungen.

„Wenn man nicht an einen Gott glaubt, was ist dann der Sinn des Lebens?“, wird oft von Christen gefragt. Doch Sinn, Weisheit, Moral und gutes Leben sind nicht von einem Glauben an Gott abhängig.

Ein unglaublich starkes Buch. Ich habe es sofort noch einmal verschlungen und war ständig versucht, mit den mir wichtigen Sätzen meinen Bildschirm vollzupflastern, damit ich diese existenziellen Botschaften ständig vor Augen habe.

Irvin D. Yalom: In die Sonne schauen. btb-Verlag (Random House) 2010. Taschenbuch

ISBN 978-3-442-73838-0, 10,00 €

Josch 10.07.2018, 16.09

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