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Ausgewählter Beitrag

Die Zukunft war früher auch besser

Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist

Vor knapp einem Jahr fragte mich der Verleger des Marixverlags in Wiesbaden, ob ich Lust und Zeit hätte, zwei Bücher über Karl Valentin herauszugeben. Und da ich seit jeher Karl Valentin und sein Oevre höchst faszinierend finde, musste ich nicht lange überlegen und sagte zu. Der Auftrag umfasste die Auswahl der Texte, die Einleitung und die „Übersetzung“ bzw. Kommentierung jener Stücke, Szenen und Monologe, die in valentineskem Bairisch verfasst sind. Vor Kurzem nun sind die beiden Bücher erschienen.




Karl Valentin (1882-1948), eigentlich Valentin Ludwig Fey, wurde in München geboren. Er lernte Schreiner und hatte bereits 1897 erste Auftritte als Komiker. Nach dem Besuch einer Varietéschule gelingt ihm 1908 der Durchbruch als Komiker. Von 1913 an tritt er gemeinsam mit Liesl Karlstadt auf. Karl Valentin beeinflusste Generationen von Künstlern und Komikern wie Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky, Gerhard Polt oder Helge Schneider (Polt und Schneider sind unter anderen Träger des Großen Karl-Valentin-Preises, der auf Initiative von Alfons Schweiggert in unregelmäßigen Abständen für herausragende künstlerische Leistungen in der Nachfolge Karl Valentins verliehen wird).

Was mich in besonderer Weise mit Karl Valentin verbindet, das ist sein Sterbetag, der auch der Sterbetag meines Großvater ist – ich selbst war damals noch nicht auf der Welt –, und es ist gleichzeitig mein Geburtstag.

Hier ein Dialog aus den beiden Büchern.


Zeitlos aktuell: „Die Fremden“

Professor: So! – Wir haben also in der letzten Unterrichtsstunde über die Filzpantoffel gesprochen und behandeln heute das Hemd. Wer von euch weiß zufällig einen Reim auf „Hemd“?

Valentin: Auf Hemd reimt sich »fremd«.

Professor: Sehr gut! Und wie heißt die Mehrzahl von „fremd“?

Valentin: Die Fremden.

Professor: Jawohl, die Fremden. – Und aus was bestehen die Fremden?

Valentin: Aus „fremd“ und aus „den“.

Professor: Sehr gut! – – Und was ist ein „Fremder“?

Valentin: Fleisch – Gemüse – Mehlspeisen – Obst usw.

Professor: Nein! – Nein! – Nicht was er isst, sondern was er tut.

Valentin: Er reist ab.

Professor: Sehr richtig! – Er kommt aber auch an – und ist dann ein Fremder. – Bleibt er dann für immer ein Fremder?

Valentin: Nein! – Ein Fremder bleibt nicht immer ein Fremder.

Professor: Wieso?

Valentin: Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.

Professor: Das ist nicht unrichtig. – Und warum fühlt sich ein Fremder nur in der Fremde fremd?

Valentin: Weil jeder Fremde, der sich fremd fühlt, ein Fremder ist, und zwar solange, bis er sich nicht mehr fremd fühlt – dann ist er kein Fremder mehr.

Professor: Ausgezeichnet! – Wenn aber ein Fremder schon lange in der Fremde ist, – ist das dann auch ein Fremder? Oder ist das ein Nichtmehrfremder?

Valentin: Jawohl, das ist ein Nichtmehrfremder; aber es kann diesem Nichtmehrfremden – unbewusst – doch noch einiges fremd sein.

Professor: Was zum Beispiel?

Valentin: Den meisten Münchnern zum Beispiel ist das Hofbräuhaus nicht fremd – hingegen sind ihnen die meisten Museen fremd.

Professor: Sehr richtig! – Dann kann also der Einheimische in seiner eigenen Vaterstadt zugleich noch ein Fremder sein. – Es gibt aber auch Fremde unter Fremden! Wie verstehen Sie das?

Valentin: Fremde unter Fremden sind – so wie ich mir das vorstelle –, wenn Fremde mit dem Zug über eine Brücke fahren und ein anderer Eisenbahnzug mit Fremden unter derselben durchfährt, so sind die durchfahrenden Fremden – Fremde unter Fremden, was Sie, Herr Professor, wahrscheinlich nicht so schnell begreifen werden.

Professor: Leicht fällt es mir nicht! Aber nun wieder zum Thema. – Und was sind „Einheimische“?

Valentin: Einheimische sind das Gegenteil von Fremden. Aber dem Einheimischen sind die fremdesten Fremden nicht fremd, – er kennt zwar den Fremden persönlich nicht, merkt aber sofort, dass es sich um einen Fremden handelt bzw. um Fremde handelt, zumal wenn diese Fremden in einem Fremdenomnibus durch die Stadt fahren.

Professor: Wie ist es nun, wenn ein Fremder von einem Fremden eine Auskunft will?

Valentin: Sehr einfach. – Fragt ein Fremder in einer fremden Stadt einen Fremden um irgendetwas, was ihm fremd ist, so sagt der Fremde zu dem Fremden: „Das ist mir leider fremd, ich bin hier nämlich selber fremd.“

Professor: Das Gegenteil von fremd ist bekannt. Ist Ihnen das klar?

Valentin: Eigentlich ja! Denn wenn z.  B. ein Fremder einen Bekannten hat, so muss ihm dieser Bekannte zuerst fremd gewesen sein, – aber durch das gegenseitige Bekanntwerden sind sich die beiden nicht mehr fremd. Wenn aber diese beiden Bekannten zusammen in eine fremde Stadt reisen, so sind diese zwei Bekannten dort für die Einheimischen wieder Fremde geworden. – Sollten sich diese beiden Bekannten hundert Jahre in dieser fremden Stadt aufhalten, so sind sie auch dort den Einheimischen nicht mehr fremd.

Der begnadete Komiker, Schrägdenker, Humorist, Schauspieler und Filmemacher wird von vielen auf eine Stufe mit Charlie Chaplin, Buster Keaton, Luis Buñuel, Samuel Beckett sowie Stan Laurel und Oliver Hardy gestellt.

Karl Valentin: Die Zukunft war früher auch besser. Gerade Gedanken eines Schrägdenkers. Gebunden in feines Leinen. 352 Seiten. ISBN 978-3-7374-1113-4. 20,00 €

Karl Valentin: Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist. Texte – Sprüche – Stücke. Gebunden mit Schutzumschlag. 224 Seiten. ISBN 978-3-7374-1106-6. 6,00 €

Josch 08.03.2019, 12.46

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