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Ein Mädchen mischt die Männerdomäne auf

Das Damengambit auf Netflix

Spannend, berührend, sensationell...

Ich bin in diesem schwierigen Jahr zu einem Serienfan geworden. Beim Durchklicken durch das nahezu unüberschaubare Angebot stieß ich vor Kurzem bei Netflix auf Das Damengambit und sah mir gleich vier Folgen am Stück an. Mittlerweile ist die Serie von vielen Seiten durchweg positiv, ja zum Teil euphorisch – was ich unterstreichen möchte – rezensiert, zum Beispiel von Theresa Hein in der SZ vom 27. Oktober oder von Eugen Epp im Stern am 31. Oktober 2020.



Der Beginn eines Genies

Die Serie spielt im Kentucky der 1950er-Jahre. Alice Harmon, alleinerziehende Mutter und promovierte Mathematikerin, nimmt sich durch einen Autounfall das Leben. Die achtjährige Beth, die hinten im Auto sitzt, überlebt unverletzt den Unfall und kommt ins Waisenhaus, wo sie christlich erzogen wird und in der etwas älteren Jolene eine Freundin und Bettnachbarin findet. Jolene, die als Schwarze darunter leidet, dass sie nicht adoptiert wird, zeigt Beth nicht nur die Feinheiten des Überlebens in einem Waisenhaus, sondern vor allem den Umgang mit den Beruhigungsmitteln, die die Heimleitung an die Mädchen jeden Tag verteilt. Leider machen die Beruhigungstabletten auch abhängig. Im Keller des Heims sitzt der Hausmeister vor einem Schachbrett und spielt allein Schach. Dieses Spiel weckt Beths Interesse, doch als Beth ihn fragt, welches Spiel das ist und ob er ihr das Spiel lernen würde, lehnt er ab. Er spiele nicht mit Fremden, sagt er. Aber Beth lässt sich nicht so leicht abwimmeln. Beim nächsten Besuch im Keller erklärt sie bockig, dass sie keine Fremde sei, sie wohne schließlich hier. Und damit beginnt eine außergewöhnliche Karriere eines kleinen Mädchens.

Beth wird eingeladen, beim Schachclub der Highschool simultan gegen zwölf Schachspieler anzutreten. Und sie schlägt natürlich alle vernichtend. Ihre Karriere allerdings nimmt erst an Fahrt auf, als sie mit fast vierzehn Jahren adoptiert wird. Lebenslinien wiederholen sich: Auch in ihrer neuen Familie trennt sich der Mann von seiner Frau, und damit ist Beth wieder mit der Mutter allein. Nachdem Beth sich fulminant die Landesmeisterschaft von Kentucky erspielt und das erste Preisgeld in Höhe von 100 Dollar gewinnt, wird die Mutter ihre Agentin, Förderin, Begleiterin und liebevolle Freundin. Einziger Nachteil: die Adoptivmutter ist alkoholabhängig, aber ansonsten dem Leben meist optimistisch zugeneigt. Beth leidet anfänglich sehr darunter, dass sie nur deswegen in den Medien vorkommt, weil sie ein Mädchen ist und nicht wegen ihres genialen Schachs.


Schach – Paradigma fürs eigentliche Leben

Als die Mutter überraschend stirbt, steht die junge Beth ganz allein da. Und sie geht unbeirrt ihren Weg, auf dem sie die selbstverliebten, ausschließlich männlichen Schachspieler der Reihe nach vom Schachbrett fegt. Und es geht unaufhaltsam nach oben. Unaufhaltsam ist allerdings auch ihre Drogenkarriere, die sie vor allem bei den wichtigsten Spielen straucheln lässt. Und so lernt sie, dass es im Leben nicht nur ums Siegen, sondern auch ums Verlieren geht.

Beth Harmon, eindrucksvoll gespielt von Anya Taylor-Joy, einer argentinisch-britischen Schauspielerin, ist ehrgeizig, willensstark, selbstbewusst und von einer Eleganz ohnegleichen. Und das macht die Figur so spannend, so faszinierend. Bei der Figur stimmt einfach alles: ihr Blick, ihre Gang, ihre Bewegung, ihre Schlagfertigkeit. Dabei ist sie nie überheblich oder arrogant. 

Schach ist ein einsames Spiel: Die Gegner sitzen sich oft über Stunden schweigend gegenüber. Es gibt keinen Coach wie in anderen Sportarten, der ihnen sagt, welcher Zug nun am erfolgreichsten wäre. Schachspieler sind für ihr Spiel selbst verantwortlich. Beth kommt dabei die halluzinogene Wirkung ihrer Pillen zugute. Sie erlaubt es ihr, auf dem an die Zimmerdecke fantasierten Schachbrett ihre Züge auszuprobieren oder nachzustellen.


Schach in Kalten Krieg

Das Damengambit ist eine Eröffnungsstrategie im Schach. Damit beginnt Beth gern ihr Spiel, wenn sie Weiß hat. Der Titel dieser Serie ist daher in mehrfacher Hinsicht metaphorisch zu verstehen: als Eintritt ins Leben, der Damenbauer, die weißen Figuren, die immer einen kleinen Vorteil gegenüber Schwarz haben, der bis in alle Konsequenzen hinein durchdachte Zug. Man braucht von Schach nichts zu verstehen, um die Serie genießen zu können. Das Schachbrett mit seinen 64 Feldern steht für das überschaubare und begrenzte Feld des Lebens. Dort fühlt sich Beth sicher, das Brett beherrscht sie. Sie hat keine Angst vor den Männern, die ihr ständig sagen wollen, was sie zu tun hat. Dagegen kann sie sich sehr gut zur Wehr setzen. Es gibt nur einen Mann, der ihr Angst macht, und das ist Borgov, der Russe, der Weltmeister. Dreimal spielt sie gegen ihn. Insofern ist die Serie auch Abbild des kalten Krieges in den 1950er-, 1960er-und 1970er-Jahren. Im Schach gewann damals in der Realität das amerikanische Schachgenie Bobby Fischer gegen den russischen Weltmeister Boris Spassky. Das Duell wurde zum größten Schachduell der Geschichte hochstilisiert. Auch damals lagen Genie und Wahnsinn sehr eng beieinander.


Ein wunderbares Finale

Worin sich aber diese wunderbare Netflix-Serie von der Realität der frühen Duelle unterscheidet, das ist einerseits die mentale und strategische Unterstützung der Männer in Amerika, denen Beth vernichtende Niederlagen zugefügt hat, die sie aber jetzt mit all ihrem Können unterstützen, und die Verehrung, die ihr die alten schachspielenden Männer in Moskau entgegenbringen. Ein wunderbares Ende der Serie, von dessen Erfolg sich die Verantwortlichen von Netflix hoffentlich nicht zur Produktion einer zweiten Staffel verleiten lassen. Ich kann mir keine Story vorstellen, die diese Serie sinnvoll weiterführt oder gar toppt.

The Queen's Gambit (deutsch: Das Damengambit), Netflix-Serie, sieben Folgen, jeweils zwischen circa 60 und 50 Minuten.

Alle Abbildungen: © Netflix

Josch 06.11.2020, 18.34

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