Ausgewählter Beitrag
Warum bist du hier?
Vor Kurzem hatte der dtv-Verlag zu einem Empfang ins „Café am Rande der Welt“ mit John Strelecky geladen. Dem Autor ist mit seinem Buch, das in Deutschland unter dem Titel „Das Café am Rande der Welt“ erschienen ist und dessen Originaltitel „The Why Are You Here Café“ lautet, ein Weltbestseller gelungen. Strelecky stellt darin auf unterhaltsame Weise existenziell-brisante Fragen: Warum bist du hier? Hast du Angst vor dem Tod? und Führst du ein erfülltes Leben? Eingebettet sind diese Fragen in eine interessante und unterhaltsame Geschichte: Der Erzähler gerät auf der Autobahn in einen Stau. Nichts geht mehr vorwärts. Wie im „realen“ Leben des Protagonisten. Da entschließt er sich zu wenden und von der Autobahn abzufahren. Dabei verfährt er sich hoffnungslos, das Benzin geht zur Neige, keine Ortschaft weit und breit, und es wird Nacht.
John Strelecky (Mitte) mit Gästen im Café am Rande der Welt.Foto: © Heike Bogenberger, dtv
Café am Rande der Welt
Da entdeckt er in der Ferne „Das Café der Fragen“, in das er dankbar einkehrt, in der Hoffnung, seinen Hunger stillen zu können. Auf der Speisekarte schließlich liest er die o.g. Fragen, die ihn mit Unterstützung des Personals und den Gästen des Cafés mit sich und seinem Leben konfrontieren. Er kann ihnen nicht mehr ausweichen, wie dem realen Leben, dem man letztendlich ja auch nicht ausweichen kann. Er lässt sich auf diesen Selbstfindungsprozess ein und gestaltet nach dieser Erfahrung sein Leben nach seinen Vorstellungen, ohne zu befürchten, „keine Möglichkeiten mehr zu haben, etwas zu tun, wenn man es bereits getan hat oder es jeden Tag macht“.
Die raffiniert konstruierte Geschichte unterscheidet sich damit auf höchst angenehme Weise von den eher nüchternen Lebens-Ratgebern, die sich mit solchen Fragen beschäftigen. Macht mir das, was ich tue, wirklich Spaß? Erfüllt mich meine Arbeit? Verläuft mein Leben so, wie ich es mir immer gewünscht habe? Stecke ich nicht in einem Stau? Reicht mir die Energie noch? Oder werde ich gelebt? Wieso habe ich mich bisher erfolgreich vor den das Leben bestimmenden Fragen gedrückt? Wie lang werde ich noch vor mir selbst fliehen können?
Wenn man das Buch liest, assoziiert man automatisch und notgedrungen die eigene existenzielle Situation und überlegt, wo man selbst steht. Vielleicht ist man ja mit seinem Leben rundum zufrieden, dann wird man vermutlich gar nicht zu einem solchen Buch greifen. Aber auch dann kann man den wirklich wichtigen Fragen des Lebens nicht ausweichen, selbst wenn es erst am Ende des Lebens sein sollte.
Alltägliche Verhinderer
Ich habe mich zum Beispiel gefragt, was die Verhinderer in meinem Leben sind, die mir notwendige Veränderungen verleiden und mich in den gewohnten Trott treiben. Spontan fielen mir eine ganze Reihe Verhinderer ein, zum Beispiel die Angst vor Veränderung, die Bequemlichkeit, das Sicherheitsbedürfnis, die Ausreden vor allem Möglichen, das Abwälzen auf die Umstände, auf die Familie und vieles mehr.
Magellan. Der Mann und seine Tat
Und während ich mich mit dem Buch beschäftigte, fiel mir Stefan Zweigs Roman „Magellan. Der Mann und seine Tat“ ein. Ein gänzlich anderer Text, in jeder Hinsicht. Und doch haben beide Texte Gemeinsamkeiten. Zweig hat das Buch 1937 veröffentlicht. Er kam zum Thema des Romans bei einer Schiffsreise von Europa nach Südamerika. Im Vorwort schreibt er: „Ich wusste, dass mich in Brasilien einige der schönsten Landschaften der Erde erwarteten (…) Schon dieses Vorgefühl machte die Fahrt wunderbar (…), ein stilles Meer, die völlige Entspannung auf dem geschwinden und geräumigen Schiff, das Losgelöstsein von allen Bindungen (…) Aber plötzlich, es war am siebenten oder achten Tag, ertappte ich mich bei einer ärgerlichen Ungeduld. Immer wieder der blaue Himmel, immer wieder dieses blaue, ruhende Meer! (…) Da reist du, sagte ich mir zornig, in dem denkbar sichersten Schiff auf der denkbar schönsten Fahrt, und aller Luxus des Lebens steht dir zu Gebote (…) Vergleiche doch einen Augenblick diese Fahrt mit jenen von einst, vor allem mit den ersten Fahrten jener Verwegenen!“
Das war der Ausgangspunkt für seinen Roman über einen Mann, der eine Fahrt ins Ungewisse machte. Den nichts von seiner Bessenheit abbringen konnte, der überzeugt war, dass die Erde eine Kugel ist, was damals noch nicht bewiesen war. Und Magellan bekommt von der spanischen Krone fünf Schiffe, mit denen er sich ins Unbekannte aufmacht, ohne Luxus, ohne Verbindung zur Heimat, ohne moderne Navigation. „Not fuhr mit ihnen, Tod umstand sie in tausendfältigen Formen zu Wasser und zu Land (…) Niemand, sie wussten es, würde ihnen helfen, kein Segel würde ihnen durch Monate und Monate begegnen in diesen unbefahrenen Gewässern.“ 265 entschlossene Männer auf fünf Schiffen machen diese Fahrt. Nur 18 kehren heim auf dem letzten, übriggebliebenen zermorschten Schiff. Magellan selbst ist auf der Fahrt ums Leben gekommen.
Und was nun?
Was waren das wohl für Menschen, die sich auf eine derartige Ungewissheit eingelassen haben? Die sich Wind und Wetter, Hunger und Krankheit aussetzten und von denen die Mehrzahl ihr Leben lassen mussten. Welch eine Tat! Irgendwie geht es in den wirklich bedeutenden Biografien um das bedingungslose Verfolgen der eigenen Ziele.
Es muss ja nicht eine die Geschichte übedauernde Tat wie die von Magellan sein. Existenziell bedeutsam sind John Streleckys Fragen ohne Zweifel, denn sie tasten sich vorsichtig an unsere eingespurte, bequeme Existenz heran und unterhöhlen sie. Daher sind sie unbedingt bedenkenswert. Sie werfen uns auf uns selbst zurück und bergen die Chance, dem Leben eine neue Richtung zu geben. Ohne Navigation. Sie können uns zu einer Reise ins Unbekannte verführen und damit dem Leben wieder Spannung und neuen Sinn verleihen.
Ich kann das kleine, amüsante Sachbuch von John Strelecky und Stefan Zweigs großen Roman nur empfehlen. Die Texte haben das Potenzial, uns gehörig zu verunsichern und uns nicht nur träumen zu lassen.
John Strelecky: Das Café am Rande der Welt. dtv-Verlag. München 2003
ISBN 978-3-423-28984, 144 Seiten, 8,95 €
Stefan Zweig: Magellan. Der Mann und seine Tat. Insel Verlag. Berlin 2013
ISBN 978-3-458-35905-0, 297 Seiten, 10,00 €.
Josch 25.06.2018, 18.43
Kein Kommentar zu diesem Beitrag vorhanden