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Geschichte eines Strafvaters

»Wer Gewalt sät«

Wenn Männer über Väter sprechen, kommen nicht immer erfreuliche Dinge zum Vorschein. So wie vor einiger Zeit bei einem langen Abend mit einem Bekannten, der mir in dieser Nacht zu einem Freund wurde. Es war schauerlich, was er über seine Vaterbeziehung erzählte. Er leitete die Reminiszenz mit dem vierten christlichen Gebot ein, das da lautet: Du sollst Vater und Mutter ehren, damit du lange lebest und es dir wohl ergehe auf Erden (Ex 20,12).Man soll den Vater ehren, ihn respektieren, ihn vielleicht sogar lieben. Sein Vater forderte bedingungslosen Respekt ein. Man sollte also Respekt vor ihm haben. Doch was er unter Respekt verstand, löste nur Angst aus. Angst vor seiner Gewalt, seiner Züchtigung, seiner Strafe, seiner Laune. Wie wird er wohl heute aufgelegt sein? Ob ihm vielleicht eine Laus über die Leber gelaufen ist? Das würde brutale Auswirkungen auf seine Laune haben, seiner Laune dem Sohn gegenüber. Wenn dem Vater jemand schön tat, war er gut aufgelegt. Dann überstrahlte er alle, denen er begegnete, mit dem charmantesten Lächeln, das man sich vorstellen kann.



Respekt oder Angst?

Aber wehe, wenn er sich von jemand benachteiligt, angelogen, nicht ernst genommen oder gar ausgelacht fühlte, wenn ihm irgendetwas Schwierigkeiten bereitete, wenn ihm etwas nicht gelang, wenn er an seine Grenzen stieß, wie jeder Mensch verschiedentlich an seine Grenzen stößt, dann musste man sich in Acht nehmen. Dann konnte ein Grinsen an der falschen Stelle, ein falscher Ton, eine Unachtsamkeit, ein falsches Wort, eine Vergesslichkeit zu verheerenden Gewaltausbrüchen führen. Dann schlug er mit der nackten Faust oder mit allem, was ihm unter die Finger kam, auf den Sohn ein, bis dieser vor Schmerzen fast zusammenbrach. Und wehe, der Sohn schrie oder weinte, dann ging es erst richtig los. Das steigerte die Wut des Strafvaters, seine Härte, die Dauer der Strafe. Das führte schließlich dazu, dass der Sohn dann dem Vater den notwendigen »Respekt« zeigte. Dabei war es doch nur die nackte Angst. Angst vor Demütigung, Angst vor der Aggression des Vaters, Angst vor seiner Laune, Angst vor der stummen Gewalt. Denn der Gewaltvater musste nie rechtfertigen, warum er zuschlug, warum er sich in dieser Weise an seinem Kind verging.

 

Zusehen ist Ko-Gewalt

Und keiner unternahm etwas gegen den Übervater. Niemand zeigte ihn an. Niemand – auch seine Ehefrau und die Mutter meines Gesprächspartners – stellten sich ihm in den Weg, wiesen ihm seine Grenzen auf. Kein Lehrer, keine Lehrerin machte sich sonderlich Gedanken, wenn sie die Spuren der väterlichen Gewalt, die Striemen auf dem Körper des Gezüchtigten zum Beispiel im Sportunterricht sahen. So konnte sich der Gewaltvater austoben. Er hatte sozusagen einen Freibrief. Das Kind war wie ein Besitz, mit dem er machen konnte, was er wollte. Und niemand hatte dem Vater in seine Erziehung dreinzureden. Weder die Ehefrau noch ein Lehrer, weder ein Nachbar noch das Jugendamt. Weder der Pfarrer noch der Onkel, der ältere Bruder des Übervaters. Und damit werden die stummen Zuschauer zu Mitverantwortlichen, zu Ko-Gewalttätigen. Sie gehörten genauso bestraft wie der Strafvater.

 

Bedingungsloser Gehorsam und seine Spätfolgen

Das Kind hatte zu gehorchen, hatte den Mund zu halten, wehe, es widersprach oder leugnete ein Vergehen, behauptete, mit dieser oder jener Sache nichts zu tun zu haben. Wo der Strafvater es doch »besser« wusste. Auch wenn er nicht dabei war, wenn er sich ein Vergehen, eine Zerstörung irgendeines Alltagsgegenstandes nur einbildete, wenn er glaubte, dass dies sein Sohn gewesen sein müsse. Es reichte. Und was die Strafe noch verschlimmerte, war, dass sie oft erst ein paar Tage später vollzogen wurde, wenn niemand mehr damit rechnete, wenn das Kind insgeheim hoffte, der Strafvater könnte den Vollzug der Strafe vergessen haben. Aber wo denkst du hin? Jede Möglichkeit zu einer Strafe musste ausgekostet, musste wahrgenommen werden. Wer lässt sich eine Befriedigung schon nehmen, zumal sie sich der Züchtiger nehmen konnte, wann immer er einen Drang danach fühlte. Und wie fühlt sich das Kind heute?

 

Ein »geliebter Vater« über den Tod hinaus

Die Gewalterfahrung vonseiten des »geliebten« Vaters prägt das Denken und Fühlen des Kindes bis weit über das Kindesalter hinaus, ja, bis ins hohe Alter. Wie sollte das einst derartig gezüchtigte Kind so etwas vergessen? Traumatische Kindheitserfahrungen lassen sich meines Erachtens auch durch noch so viele Therapien und Gespräche nicht wegoperieren, wie man etwa einen Blinddarm wegschneiden, einen Furunkel ausdrücken kann. Im Hirn haben sich diese Erfahrungen, diese Erinnerungen, diese Bilder der Gewalt, diese Schmerzen, die gesamte Situation und alles, was den jeweiligen Gewaltexzess begleitete, mit Wucht eingebrannt, wie mein Freund sagte. Diese Erfahrungen lassen sich nicht wegschneiden, wegmachen, vertuschen, stillschweigen, ausbrüten, ja nicht einmal lindern. Wie soll der Gezüchtigte da mit Angst und Unsicherheit umgehen? Was gibt es da nicht zu verstehen? Und mit der Zeit will das Opfer auch nicht mehr bedauert werden. Als wäre das eine soziale Wohltat, als hätte das etwas mit Empathie zu tun. »Wir verstehen dich ja.« Gar nichts versteht jemand, dem nicht das Gleiche widerfahren ist, sagte mein Freund. Man kann es sich vielleicht vorstellen, wie das formal abgelaufen ist, aber was der Gewaltexzess bewirkte, welche Nachwirkungen er hatte, wie er sich anfühlte, wie weh es tat, das kann niemand nachvollziehen. Jeder empfindet Gewalt anders, bei jedem und jeder löst sie etwas anderes aus, aber immer ist sie Ursache schrecklicher Nachwirkungen.

 

Fazit

Wie sollte man vor so einem Vater Respekt haben? Darüber lohnt es sich nachzudenken, wenn man über unsere alternde Gesellschaft nachdenkt und sich fragt, was wohl der Grund für manch aberwitzige Verhaltensweise der älteren Generation gewesen sein mag. Auch in Bezug auf Wahlen.

 

Eine fürchterliche Geschichte. Ich musste tagelang an diese Gewalterfahrung meines Freundes denken. Immer wieder überlagerte sie mein Tagesgeschehen. Bis ich mich entschloss, sie niederzuschreiben und zu veröffentlichen, natürlich nicht, ohne meinen Freund vorher um Erlaubnis zu fragen. Denn die Geschichte könnte weitergehen…

Abbildung: ©Pexels.com/Alexas Fotos

 

Josch 07.10.2025, 16.53

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