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Jazzmesse. Fortsetzungsroman (11)

Frühmesse (11)

Hubert trank eigentlich nie Bier. Wenn er Alkohol trank, dann höchstens einen Martini weiß, mit einer Zitronenscheibe am oberen Glasrand. Da er sich aber nicht getraute zu reklamieren, tat er, als wäre er ein eingefleischter Biertrinker und nahm gleich beim ersten Ansetzen des Glases einen möglichst großen Schluck. Und auch der Wirt war ganz konzentriert beim Spiel. Der Bulle sah belustigt zu ihm herüber, schien sich aber für ihn nicht weiter zu interessieren, sondern vertiefte sich gleich wieder in das Kartenspiel.



„Ich spiele mit der Blauen.“

Die Blaue, soviel wusste Hubert von den Kartlern aus seiner Klasse, war eigentlich grün und hieß offiziell Gras. Warum der Mann sie blau nannte und ob das ein Eslarner Idiom war, konnte Hubert nicht erklären, jedenfalls bezeichneten alle Kartler aus dieser Gegend die Grüne als die Blaue.

Sogleich drosch der Koloss offensichtlich eine Trumpfkarte mit der Faust in die Tischmitte, dass die Gläser nur so wackelten und das Bier überschwappte. Daraufhin warfen die anderen jeweils eine Karte wortlos auf den Tisch. Der Koloss hatte die erste Runde gewonnen und musste daher auch die zweite eröffnen. Er legte ein Herzblatt in die Tischmitte und schrie laut: „Trumpf ist die Seele vom Spiel.“

„Dein Herzkasperl hängt zu weit unten“, wieherte der Wirt, während er seine Karte auf den Tisch schleuderte. Diese Runde ging an ihn.

Dann schob er eine kleine grüne Karte in die Tischmitte, und der Hütchenmann schmetterte seine Blaue, also das Gras-As, in die Mitte. Der Koloss brüllte: „Da ist ja die Blaue“, und warf seine Grün-Zehn hinein.

Da aber jubelte das Skelett: „Grün frei“, legte den Eichel-Unter in die Tischmitte und bellte noch lauter: „Den kann keiner mehr!“

Offensichtlich spielten der Wirt und der Alte zusammen. Jedenfalls nahm jener die in die Mitte geworfenen Karten an sich und rief:

„Das sind 23 Augen.“

„Das war ein guter Stich“, kommentierte der Alte kurz.

Hubert wusste, dass die Augen den Wert der Karte bezeichneten, und war ehrfürchtig erstaunt über die Rechenkunst der Spieler, die offensichtlich bereits während des Spiels wussten, wie viele Augen jeder Stich eingebracht hatte.

„Und noch ein Trumpf“, schmetterte der Wirt in die Runde. Die Mitspieler warfen nun sehr schnell hintereinander ihre Karten in die Tischmitte und schienen aufzugeben.

„Das reicht“, brummte der Alte.

„Schneiderfrei“, schrillte der Mann mit dem Hütchen. Dann zählte jede Spielpartei noch einmal zur Kontrolle die Augen, bevor sich der Alte alle Karten schnappte und sie schön ordnete, um sie besser mischen zu können.

Bevor der Alte damit begann, schoben die beiden Verlierer des Spiels ihre Münzen zu den Gewinnern hinüber, und die legten diese in ihr Geldschälchen, das jeder Spieler neben sich stehen hatte. Und plötzlich fingen sie in einer derartigen Lautstärke zu streiten an, dass Hubert fürchtete, sie könnten jeden Moment aufeinander losgehen und sich gegenseitig die Gläser auf den Kopf schlagen.

„Wenn du die Grasacht später gebracht hättest, dann wäre ich grasfrei gewesen und hätte mit einem Trumpf reinstechen können.“

„Aber ich habe die Grasacht bringen müssen, weil ich sonst mit dem Schelln-Unter hineingehen hätte müssen, und dann hätte der Adi mit dem Alten reingestochen.“

„Du Maulaffe, du bist so blöd, dass es kracht. Mit dem Gras-Zehner schmierst du denen zehn Augen, statt dass du den Zehner gleich bringst, dann hättest du mir nicht die Sau gezogen.“

„Nein, das stimmt nicht. Ich war doch grasfrei. Da hätte ich auf jeden Fall reingestochen. Ich habe ja gewusst, dass ihr ganz schön grün sein müsst, wo ich doch keine einzige gehabt habe.“

Hubert verstand von der ganzen Streiterei nicht die Bohne. Er hatte eigentlich nur Angst. Er nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Bierglas, wie es die Spieler auch taten und beobachtete gebannt, wie es nun weiterging. Aber es war beim nächsten Spiel genauso wie beim vorhergehenden. Auch da lagen sich die Spieler hinterher wieder in der Wolle. Hubert bestellte noch ein Bier, obwohl er schon leicht benebelt war, ließ sich von der Wirtin, die inzwischen an seinem Tisch saß, eine Zigarette geben, rauchte, sah interessiert den Spielern zu und aß schließlich eine fette Currywurst mit Pommes frites.

Gegen acht Uhr war die Wirtsstube ziemlich voll, und nun wurde an nahezu allen Tischen Karten gespielt. Überall ging es so zu, wie am frühen Abend, als nur ein Tisch belegt war. Hubert aber bekam das alles nicht mehr mit. Er war inzwischen sturzbesoffen und hatte es gerade noch rechtzeitig aufs Klosett geschafft, um sich zu übergeben. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er sich dabei über einem Urinal entleerte. Als er von der Toilette in die Wirtsstube zurücktorkelte, fand er nicht mehr an seinen Platz zurück und setzte sich an einen anderen Tisch, an dem schon mehrere Gäste saßen, die ausnahmsweise nicht Karten spielten. Sie redeten irgendetwas von Grenzübergang, von Tschechen, von Schmugglern und von der Grenzpolizei. Zu Hubert drangen nur zusammenhanglose Geräusche und Wörter. Die Laute kamen wie aus einem Nebenzimmer an sein Ohr. Er griff nach einem Glas und wollte trinken. Da fuhr einer der Tischnachbarn dazwischen und nahm ihm das Glas weg: „Halt, das ist mein Bier. Du musst dir schon selbst eines bestellen.“

„Da, trink von meinem Bier“, erwiderte ein anderer belustigt.

„Der ist ja total besoffen.“

„Wer ist er denn eigentlich? Kennt den einer von euch?“

Hubert nahm das Glas von dem fremden Mann und nahm einen kräftigen Schluck. Als er es absetzen und vor sich hinstellen wollte, schüttete er den Krug um und überschwemmte den ganzen Tisch mit Bier. Vergeblich sprangen die Männer von ihren Sitzen auf, um der Ladung auszuweichen. Das Bier hatte sich über den ganzen Tisch ausgebreitet und tropfte auf Stühle und den Boden. Die Hosen der Männer troffen von hellem Bier. Bei einigen sah es aus, als hätten sie in die Hosen gepisst.

Ein Mann, den es nicht erwischt hatte, rief lachend: „Macht nichts, Bier gibt keine Weinflecken!“

Wenn das Bier in den Stoff eintrocknete, würde die Hose starr wie trockenes Fensterleder sein und leicht gelbliche Ränder hinterlassen, was den Männern aber offensichtlich egal war.

Hubert hätte am liebsten seinen Kopf auf die Tischplatte gelegt und geschlafen. Er war so unsäglich müde, dass ihn selbst die riesige Bierlache auf dem Tisch nicht störte, auch nicht das Geschrei der Tischnachbarn, die über ihn schimpften und lachten, weil er das Bier ausgeschüttet und den anderen die Hosen nass gemacht hatte. Hubert wollte nur noch ausruhen, nur noch schlafen, nicht mehr diskutieren, keine politische Aktion für den CSU-Vorsitzenden der Gemeinde mehr starten, kein Zeichen der Solidarität mit den Eslarnern setzen, keine Rede halten, nicht mehr beim Schafkopf zusehen, keine Currywurst mehr essen, nicht mehr in die Schule gehen, kein Mädchen mehr küssen. Er wollte gar nichts mehr. Er wusste nicht mehr, wo er war, was er hier wollte und welches Datum man schrieb. Er verstand nicht, was um ihn herum geredet wurde, und es war ihm auch egal. Nur schlafen wollte er, nur schlafen, schlafen. Mehr nicht.

Um ihn herum tobte der Schafkopfkrieg in Eslarn, und er wollte schlafen. Es war Freitagabend. Das Spiel an den Tischen ging in die nächste Runde. Der Lärmpegel war inzwischen unerträglich. Die Reden drehten sich nur um Gras-Ober, um Herz-Solo, ums Schmieren, ums Zugeben und Drüberstechen, um Laufende, um den Alten, die Blaue, die Rote, die Kugel, um einen Wenz, ein Solo-tout, ein Sie: die ganze Wucht des wundersamen Schafkopfs beherrschte inzwischen die Köpfe der Menschen in diesem Wirtshaus. Den Spielern, die jeden Freitagabend im Gasthaus Zum Schwarzen Bären zusammenkamen, um bis in die frühen Samstagstunden hinein zu karten, war Schafkopf nicht nur ein Spiel, für sie war Schafkopf das eigentliche Leben. Manche spielten von Freitagmittag, nur mit einer kurzen Unterbrechung, um etwas zu essen, bis Sonntagnachmittag ...

Copyright Abbildung: (c) Fotolia, Fabio Balbi

Josch 26.05.2017, 20.17

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