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Jazzmesse. Fortsetzungsroman (13)

Frühmesse (13)

Pfarrer Julius Bauer hatte die Veranstaltung über die Veränderungen in der Liturgie der Messe, die das vor zwei Tagen zu Ende gegangene Zweite Vatikanische Konzil beschlossen hatte, richtiggehend inszeniert. Die Einladung zu der Bildungsveranstaltung hatte er schon vor Wochen in der Verkündigung nach dem Hochamt am Sonntag bekanntgegeben. Dann hatte er im Steinpfälzer Tagblatt in den Lokalnachrichten einen Artikel veröffentlicht, der die wichtigsten Veränderungen bei der heiligen Messe zusammenfasste. Am Ende des Artikels wiederholte er die Einladung zu der Veranstaltung am 9. Dezember in den Gemeindesaal.




Da hieß es: „Ich darf Sie ganz herzlich einladen zum Informationsabend am 9. Dezember, um 19.30 Uhr, bei dem Dozent Dr. Ambrosius Strauß vom Bischöflichen Priesterseminar Regensburg über die Liturgische Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils und ihre Auswirkungen auf die Feier der heiligen Messe sprechen wird. Anschließend haben die Teilnehmer an der Veranstaltung Gelegenheit, dem Referenten Fragen zu stellen.

Und zum Abschluss der Veranstaltung lade ich Sie ein, mit den Geistlichen unserer Pfarrei sowie unserem Gast aus Regensburg zusammen die heilige Eucharistie zu feiern. Der Eintritt ist kostenlos. Die zweite Sammlung bei der heiligen Messe ist für unseren neuen Volksaltar bestimmt.“

Dozent Dr. Ambrosius Strauß war eine Sensation, ein religiöses Kulturereignis, eine spirituelle Okkasion ohnegleichen. Sein Auftritt war wirklich bemerkenswert, das musste Bertram zugeben. Der relativ kleingewachsene Geistliche unbestimmbaren Alters hatte ein mächtiges Doppelkinn, das aussah, als wären ihm zwei überdimensionale Weißwürste um den Hals gelegt. Sein Kopf hatte die Form eines riesigen Eis, in das zwei winzige Löcher gefräst waren. Und in diese Löcher waren zwei blaue verschwindend kleine Stecknadelköpfe hineingedrückt. Auf seiner ausladenden gurkenähnlichen Nase saß eine kleine Nickelbrille. Ein spärlicher, aber anscheinend sehr widerborstiger Haarkranz umrahmte das Ei. Der Dozent strich fast nach jedem Satz mit beiden Händen die Haare glatt und drückte sie fest an das „Ei“, als wollte er die Haare am Kopf festkleben. Dann legte er die Hände immer wieder parallel neben sein Manuskript, wippte mit dem Oberkörper leicht nach vorn und wieder zurück und setzte sein Referat mit seiner Quetschstimme fort, was sich anhörte wie ein Schifferklavier mit defekter Klappe. Am schlimmsten aber empfand Bertram den extrem langsamen Vortrag und die umständliche Ausdrucksweise des Dozenten.

Überhaupt schien dem übergewichtigen Herrn das Sprechen seiner Leibesfülle wegen furchtbar schwer zu fallen, offenbar prüfte er jedes Wort, ob es auch wirklich treffend sei, bevor er sich entschloss, es der Öffentlichkeit preiszugeben. Der Vortrag strengte den Doktor der Theologie sehr an, er sog die Luft wie der Blasebalg einer alten Orgel ein. Genau genommen brachte er keinen einzigen Satz seiner salbungsvollen Rede zu Ende, ohne nicht mindestens zweimal dazwischen Luft geholt zu haben. Das alles machte Bertram das Zuhören sehr schwer. Und wie um sich selbst ständig bestätigen oder den Ausführungen besonderes Gewicht verleihen zu wollen, fügte er an allen möglichen und unmöglichen Stellen seines Vortrages die Formel nicht wahr ein.

Das führte schließlich dazu, dass eine ganze Reihe der Teilnehmer, vor allem die anwesenden Bauern der Pfarrei, die späte Veranstaltungen am Abend nicht gewohnt waren, während des Vortrags einschlief. Bertram fragte sich, wie es den Studenten in den Vorlesungen von Doktor Strauß gehen mochte. Was sie wohl gegen das Einschlafen während der Lehrveranstaltung unternehmen würden?

Ambrosius Strauß verhunzt die Sprache, man müsste ihm Vorträge verbieten, ging es ihm durch den Kopf.

Bei seinen Ausführungen erklärte Ambrosius Strauß, dass der Priester nun in Deutsch, also nicht mehr lateinisch, die Messe lesen dürfe. Man unterscheide daher künftig die lateinische und die deutsche Messe. Diese Neuregelung habe den Vorteil, dass die Laien, also die Gottesdienstbesucher, nun endlich verstünden, was der Priester und auch sie selbst beteten. Das leuchtete Bertram ein. Obwohl es ihn bisher gar nicht interessiert hatte, was das lateinische Gemurmel des Priesters zu bedeuten habe.

Die zweite Neuerung, so erklärte der Gottesgelehrte, bestehe darin, dass der Priester nicht mehr mit dem Rücken zur Gemeinde die Messe zelebriere, sondern hinter dem sogenannten Volksaltar stehe, also sein Gesicht der Gemeinde zuwende. Bertram dachte, dass es für viele Gemeinden eine harte Strafe sei, das Gesicht ihres Pfarrers den ganzen Gottesdienst hindurch sehen zu müssen. Gerade auf diese Neuerung aber war der Dozent ganz besonders stolz. Er glaube, so führte er aus, dass dadurch die Messe erst ein Gesicht bekomme, und die Gemeinde sei damit tatsächlich in die Eucharistiefeier mit eingebunden.

„Ich habe gerade in den letzten Wochen und Monaten, nicht wahr, in gewisser Weise sehr viele Eucharistiefeiern vor allem mit jungen Leuten, nicht wahr, also jungen Menschen, nach dem neuen Ritus halten dürfen. Und da habe ich immer wieder spüren und erleben dürfen, nicht wahr, welch eine Freude von den jungen Menschen bei der Feier des Todes und der Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus ausstrahlte, nicht wahr, so stark, dass die ganze Gemeinde nach der Feier oft in Ergriffenheit noch still zusammen saß und sich dann einander bewegt erzählte, wie sie die Feier erlebt hatten. Und das ist eine ganz neue Intensität dieser heiligen Handlung, die der neue Ritus bewirkt, nicht wahr.“

Bei der Diskussion im Anschluss an die Ausführungen des Dozenten äußerten einige Gemeindemitglieder Bedenken, ob die einschneidendste Veränderung in der Liturgie, dass nämlich der Priester jetzt jedem Gläubigen den Leib des Herrn Jesus Christus in die Hand geben und ihn nicht mehr auf die Zunge zu legen brauchte, durchführbar sei. Sie befürchteten, gerade Kinder könnten doch gar noch nicht begreifen, welch ungeheuere Bedeutung es habe, den Leib des Herrn Jesus in der eigenen Hand liegen zu haben. Kinder könnten es vielleicht am notwendigen Ernst fehlen lassen und den Leib Christi nicht sogleich verspeisen. Was tun, wenn sie ihn womöglich mit nach Hause nähmen, ihn in irgendeine Schachtel legten und mit ihm womöglich spielen würden?

Natürlich berge die Möglichkeit, dass jeder einfache Laie sich Jesus in die Hand legen lassen könne, um ihn leichter aufessen zu können, auch gewisse Vorteile. Aber zerstöre dies nicht ein seit Jahrhunderten überkommenes Glaubensgebäude? Sogar das Blut des Herrn Jesus dürfe man nun also in Gestalt eines ausgezeichneten Dessertweines trinken. Wie soll aber nun zum Beispiel der Priester oder der Laienhelfer mit der Kommunion in zwei Gestalten umgehen, wenn ein Alkoholiker nach dem Blut des Herrn Jesus Christus verlange, wo man doch wisse, dass Alkoholabhängige in ihrem eigenen Interesse keinen Tropfen Alkohol, auch nicht das Blut des Herrn Jesus, trinken dürften?

„Irgendwann wird vielleicht auch noch das Vater unser abgeschafft“, argwöhnte der Witt Peter, ein Bahnbeamter und Vater von acht Kindern. Peter war Vorbeter bei den Rosenkranzandachten und Aushilfsmesner und als solcher davon überzeugt, der wichtigste Katholik der Pfarrgemeinde zu sein, jedenfalls benahm er sich so. Wenn zum Beispiel einmal die Birner Katharina den Rosenkranz vorbetete, weil der Witt zu Beginn der Andacht noch nicht anwesend war, dann war er danach meist so beleidigt, dass Kaplan Meyer seine ganze Überredungskunst aufbieten musste, um ihn wieder zur Mithilfe bei der Messe und den Andachten zu bewegen.

Copyright Abbildung: Fotolia

 

Josch 22.06.2017, 11.21

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