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Jazzmesse. Fortsetzungsroman (19)

Bekenntnis (3)

Als Hubert das Klassenzimmer betrat, kreisten seine Gedanken noch um den gestrigen Abend im Gasthaus Deutsche Eiche, in dem die JU in einem Nebenzimmer zu ihrer Monatsversammlung zusammengekommen war und bei der er die Teilnehmer begrüßen durfte, weil der amtierende Vorsitzende Georg Bäumler aufgrund einer Kuh, die ein geschwollenes Euter hatte, verhindert war. Diesen Georg konnte er im wahrsten Sinne des Wortes nicht riechen. Und das lag nicht nur am Güllegeruch, den dieser immer in die Versammlung mitbrachte. Auch seine normale Ausdünstung war nur schwer zu ertragen.



Was Hubert wirklich von ihm dachte, darüber sprach er, wenn überhaupt, nur mit Horst. Hubert konnte seine Gefühle ganz gut verbergen. Wenngleich es manchmal schwer war, sich nicht anmerken zu lassen, was er dachte, war er doch häufig mit Georg zusammen und genoss als einer der ganz wenigen aus der Clique dessen Vertrauen. Schließlich konnte Georg für seine politische Karriere, wie sie ihm vorschwebte, sehr viel beitragen, da dieser einfach sehr einflussreich war.

Georg war der Sohn des reichsten Landwirts am Ort. Sein Vater war, wie jeder wusste, in den letzten Jahren so richtig zu Geld gekommen, nicht mit seiner Landwirtschaft, sondern weil der größte Teil der Ackerflächen nach dem Bebauungsplan der Stadt als Baugebiet ausgewiesen worden war. Damit vermehrte sich das Vermögen der Familie Bäumler seit knapp zwei Jahren sozusagen über Nacht um mehrere Tausend Mark. Zudem betrieben sie auch noch einige Sand- und Kiesgruben. Horst jedenfalls behauptete immer, Georg Bäumler sei mehrfacher Millionär. Das könne man sich ja ausrechnen. Man bräuchte schließlich nur den Quadratmeterpreis mit der Fläche des ausgewiesenen Baugebietes am Fichtenbühl zu multiplizieren. Wenn Horst davon sprach, bekamen seine Augen einen unbeschreiblichen Glanz, als gehöre der Baugrund ihm.

Horst war nämlich mit Georg zur Schule gegangen, und sie hatten auch beim gleichen Lebensmittelhändler gelernt. Wenngleich Georg nicht zu Horsts engsten Freunden zählte, so schätzte er ihn doch sehr, auch weil Georg den Kontakt zu Horst nie hatte abreißen lassen. Jedenfalls hielt sich Horst mit seiner Ironie über Georg spürbar zurück. Und das wollte etwas heißen bei seinem Bruder, vor dessen Späßchen keiner sicher war, außer vielleicht Bertram. Den schien Horst geradezu zu fürchten, wie Hubert aus einer Bemerkung Horsts („Den sollte man nicht zum Feind haben!“) schloss, als sie nach einer Versammlung der CAJ, bei der Bertram durchs Programm geführt hatte, nach Hause gegangen waren. So kannte er seinen Bruder gar nicht. Hubert aber achtete ohnedies sorgsam darauf, sich bei Bertram nicht unbeliebt zu machen.

 

Er setzte sich auf seinen Platz, packte seine Schultasche aus, legte das Hausaufgabenheft vor sich hin und wollte soeben die Pausenbrotbüchse öffnen, als er einen heftigen Stoß in den Rücken bekam, der ihn aus seinem Tagtraum riss. Er drehte sich blitzschnell um, holte mit der Faust aus, um dem vermeintlichen Angreifer einen Schlag zu versetzen, duckte sich geistesgegenwärtig, um dem nächsten Stoß auszuweichen, da sah er gerade noch rechtzeitig, dass es Kaplan Meyer war, der ihm diesen Stoß versetzt hatte und der sich bereits, ohne dass Hubert es bemerkt hatte, im Klassenzimmer befand. Stimmt, sie hatten ja in der ersten Stunde katholische Religionslehre. Ausgerechnet in seinem Lieblingsfach musste er zu spät kommen! Natürlich würde der Kaplan nicht verstehen, warum ihm eine JU-Sitzung so wichtig war, dass er am nächsten Tag zu spät in den Unterricht kam. Daher versuchte Hubert erst gar nicht, eine Entschuldigung zusammenzustöpseln, sondern stand einfach auf und sah erwartungsvoll auf den Kaplan hinunter.

„Warum kommst du zu spät, Fürst?“, begann der Kaplan mit leiser Stimme, was nichts Gutes verhieß. Horst konnte nur Entschuldigung stammeln, als er drei Plätze weiter links Bertram wahrnahm, der hinter dem Kaplan stand und sich an dessen Talar zu schaffen machte, was der Geistliche aber offensichtlich nicht bemerkte. „Herr Kaplan, auf Ihrem Rücken sitzt ein Käfer, soll ich ihn wegnehmen?“, fragte Bertram mit gespielter Besorgnis. Der Kaplan nickte über die Schulter und grunzte dabei ein genervtes „Ja, ich bitte darum!“ Bertram aber klebte ihm stattdessen irgendeinen Zettel auf den Rücken. Jedenfalls fing genau in dem Augenblick der ganze im Rücken des Kaplans sitzende Teil der Klasse laut zu lachen an. Der Geistliche drehte sich um, und da sah auch Hubert den Zettel auf Kaplan Meyers Rücken: „Mein neues Credo: Coito, ergo sum“ las er halblaut vor sich hin, ohne den Sinn zu verstehen.

„Was redest du da für einen Mist, Fürst?“, keifte der Kaplan, während er verständnislos und böse die Lacher fixierte. „Könnt Ihr mir vielleicht sagen, was heute so lustig ist, damit ich auch mitlachen kann. Dahlem steh auf! Sag mir, was es zu lachen gibt!“

Dahlem erhob sich und stammelte: „Auf Ihrem Rücken, Herr Kaplan, bitte … „

„Auf dem sollen wohl Eure Unverschämtheiten ausgetragen werden?“

„Ja … Ich meine … natürlich nicht. Es ist vielmehr … „

„Auf dem Rücken pflügten mir Pflüger, zogen ihre langen Furchen“, rief Bertram dazwischen.

Kaplan Meyer drehte den Kopf zur Seite, als würde ihm von unsichtbarer Hand der Kopf verdreht, und starrte Bertram mit unverhohlener Wut an: „Mich würde interessieren, wer dich gefragt hat, Wandel.“

„Mich hat niemand gefragt, Herr Kaplan, aber ich finde, dass dieser Psalm Davids die passende Antwort auf Ihre Frage ist. Sie haben uns doch vor Kurzem verraten, dass das sogenannte Wallfahrtslied aus der Bibel so etwas wie Ihr geistlicher Wahlspruch ist“, erwiderte Bertram mit unverhohlener Ironie.

„So, habe ich das?“, wich der Geistliche resigniert aus, um es nicht wieder zu einer endlosen Diskussion kommen zu lassen. Er wollte sich jetzt auf keinen Fall auf ein Scharmützel mit dem eingebildeten Schüler einlassen. Mit nur mühsam unterdrückter Wut wandte er sich an Hubert Fürst.

„Da ist es gestern wohl wieder spät geworden, Fürst, was?“

Aber Hubert musste jetzt auch über den Zettel auf dem Rücken des Geistlichen lachen, da er endlich den Sinn kapiert hatte. Der Hochwürdige Herr würde wohl nach der Unterrichtsstunde mit seinem Bekenntnis auf dem Rücken ins Lehrerzimmer stolzieren und als lebende Litfaßsäule den sexuell verfremdeten Spruch Descartes' den Kollegen gewissermaßen unter die Nase halten.

„Ich würde wirklich von Herzen gern wissen, was an meiner Frage so komisch ist, dass du dich nicht mehr beruhigen kannst. Würdest du mir das bitte verraten, Fürst?“

Hubert war von Bertrams Unverfrorenheit beeindruckt. Wie dieser den Kaplan seit Wochen verarschte.

Er überlegte ein wenig, dann sagte er: „Mir fiel gerade ein, dass Sie einmal über Herbert Wehner gesagt haben, der baue seine ganze Rhetorik auf dem Rücken des politischen Gegners auf, und das sei Ihrer Meinung nach eine Sünde gegen die Nächstenliebe.“

Kaplan Meyer schüttelte skeptisch fragend den Kopf: „Das fällt dir jetzt dazu ein?“

„Ja, weil doch Bertram Ihren Wahlspruch zitiert hat.“

„Das ist nicht mein Wahlspruch, sondern ein biblischer Psalm, über den ich sagte, dass er offensichtlich auf viele Menschen zuträfe. Aber sag mir bitte, womit wir uns letzte Stunde beschäftig haben!“, fuhr ihn nun der Geistliche lautstark an. Ganz offensichtlich verlor er allmählich die Geduld.

Josch 30.09.2017, 21.23

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