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Jazzmesse. Fortsetzungsroman (20)

Bekenntnis (4)

Hubert holte das Religionsheft aus der Schultasche und las den Psalm vor, über den sie in der letzten Stunde diskutiert hatten: „Auf dem Rücken pflügten mir Pflüger, zogen ihre langen Furchen.“

Der Unterricht mündete in normales Fahrwasser, die Klasse allerdings bekam der Religionslehrer heute einfach nicht mehr in den Griff. Immer wieder kam es zu scheinbar unmotivierten Heiterkeitsausbrüchen. Der Geistliche hatte sich an diesem Vormittag damit abgefunden, dass er mit dieser Klasse einfach nicht warm wurde, sah er einmal von Karl Wimmer, Heinz-Peter Dahlem und vielleicht noch Hubert Fürst ab.



Die Stimmung in der Klasse war bis zum äußersten angespannt, als Studienrat Gemeinweser, der Klassleiter, kurz nach der Pause versuchte, die verwerfliche Tat aufzuklären, die man an dem Geistlichen verübt hatte. Die Klasse war aber nicht zu knacken, und so musste der Studienrat seine kriminalistischen Ambitionen resigniert aufgeben. Auch seine Drohung, die ganze Klasse mit einem Arrest zu belegen, fruchtete nicht, was ihm per kultusministeriellem Erlass verboten war, wie ihm Henrik Drexler, der Klassensprecher, grinsend unter die Nase rieb. Über ihre Rechte wusste die Klasse Bescheid, das musste man den Schülern lassen, registrierte Gemeinweser nicht ohne Stolz für sich, was er sich aber nicht anmerken ließ.

Die Botschaft auf dem Rücken des Geistlichen aber blieb an diesem kleben, zumal es auch im Lehrerkollegium den einen oder anderen gab, der den Hochwürdigen Herrn seiner fassadenhaften Frömmigkeit wegen nicht ausstehen konnte und ihm liebend gern etwas Verruchtes untergeschoben hätte.

Hubert jedoch hatte an diesem Tag im Unterricht etwas Entscheidendes gelernt, was ihm allerdings erst viel später bewusst wurde: Er war gerade mit Hausaufgaben in Sozialkunde beschäftigt, als er auf einen Text von einem gewissen Tobias Brocher stieß, der über die Macht der Gruppendynamik einen Aufsatz geschrieben hatte. Das, was das Leben und die Arbeit in politischen Gruppierungen spannend mache, sei die charismatische Führerpersönlichkeit, wenn sie von der Gruppe als solche anerkannt oder sogar dazu gemacht werde und aufgrund dieser Anerkennung sich scheinbar alles erlauben könne, hatte Brocher ausgeführt. Damit hatte man in Deutschland ja hinreichend Erfahrung, wie die jüngste Geschichte belegte. Eine solche Führerpersönlichkeit jedenfalls wollte Hubert unbedingt werden. Dann würde er es diesen eingebildeten Clowns von Schülern und Lehrern schon zeigen. Hatten einige in seiner Klasse nicht charismatische Führerqualitäten? Zum Beispiel Henrik oder auch Bertram. Wie gern wäre er so aufgetreten wie Bertram, und wie gern würde er so argumentieren können wie Henrik.

***

Als Hubert einige Tage später an einem milden Winterabend nach dem Jugendausschuss ins Freie trat, um an der frischen Luft eine Salem Filter zu rauchen, stand plötzlich Georg neben ihm. Hubert war ganz verwirrt und wusste nicht recht, was er mit dem JU-Vorsitzenden reden sollte. In die unangenehme, angespannte Stille hinein sagte Georg leise: „Ich muss das Amt niederlegen.“

„Warum musst du das Amt niederlegen?“, wollte Hubert mit gespieltem Erschrecken wissen.

„Weil ich mich stärker bei der KAB engagieren möchte.“

Hubert war ziemlich verwirrt und wusste gar nicht, was er darauf erwidern sollte.

„Wäre das nichts für dich, Hubert?“, nuschelte Georg weiter.

Hubert verstand noch immer nicht, worauf Georg hinauswollte, und grinste ein wenig unsicher. Aber Georg wiederholte seine Frage. Und da endlich fiel bei Hubert der Groschen.

„Du meinst, der Ortsverband würde mich wählen?“

„Wenn du das Amt wirklich haben willst, dann kriegen wir das hin. Wer sollte es denn sonst machen?“, kam es tonlos von Georg, als spräche er zu sich selbst.

Hubert spürte, dass da irgendetwas nicht stimmte, nur konnte er nicht sagen, was es war. Georg wollte sein politisches Amt aufgeben, um sich verstärkt in einem katholischen Verband engagieren zu können? Da war doch etwas faul. Obwohl Georg ein Vorzeigekatholik war und beste Verbindungen zu allen möglichen Verbänden hatte, war es Hubert unverständlich, dass Georg diesen kirchlichen Einfluss nicht politisch nutzen wollte. Georg war sogar bei der DJK, der deutschen Jugendkraft, im Vorstand, und das, obwohl er einer der unsportlichsten Menschen war, die Hubert kannte.

„Ich muss mir das noch überlegen, Georg. Schließlich ist mit so einem Amt sehr viel Arbeit und Verantwortung verbunden, und ich weiß nicht, ob ich das vor den Prüfungen schaffe. Ich muss unbedingt mehr für die Schule tun. Wenn ich den Abschluss heuer nicht schaffe, kann ich mich als Fliesenleger bewerben.“

„Was hast du gegen Fliesenleger. Da verdienst du wenigstens gut“, erwiderte Georg in seiner etwas unbeholfen ruhigen Art.

„Übrigens, wenn du Hilfe brauchst, musst du es nur sagen. Studienrat Gemeinweser ist im Bildungsausschuss der KAB. Ich könnte ja mit ihm reden, wenn's dir recht ist.“

„Das würdest du wirklich tun?“, Hubert wusste nicht, was er sagen sollte. Was doch die Mitgliedschaft in der richtigen Partei alles bewirken kann!, ging es ihm durch den Kopf. Er nahm noch einen kräftigen Zug von seiner Zigarette und ließ den Rauch durch die Nase ausströmen, dann drückte er die Kippe an der Hausmauer aus und folgte Georg zurück in den Versammlungsraum.

Für ihn war die Sitzung allerdings heute gelaufen. Er konnte sich einfach nicht mehr konzentrieren. Ständig ging ihm durch den Kopf, was Georg vor der Tür zu ihm gesagt hatte.

Josch 15.10.2017, 11.47

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