Ausgewählter Beitrag
Für den Frieden muss man reden …
… habe ich in einem Buch aus dem Jahr 1971 gelesen. Es gibt wahrscheinlich nichts, was uns 2022 mehr beschäftigt hat als dieser furchtbare Krieg in der Ukraine. »Für den Frieden muss man reden, denn man braucht kein Gewehr, um jemanden abzuschießen. Worte tun es auch«, heißt es weiter. Ja, vor 50 Jahren konnte man noch relativ unbefangen über Krieg und Frieden reden und schreiben. Kriege waren Gott sei Dank weit weg von uns. Nun aber kam der Krieg beängstigend nah an uns heran; Krieg bedroht unseren Wohlstand, bringt Kälte in unsere Wohnzimmer. Unfassbar.
»Kriege hat es schon immer gegeben…«
Ich war Kriegsdienstverweigerer, musste mir die Anerkennung noch vor einem vierköpfigen Gremium mit Richter und Beisitzern in einer über zweistündigen »Verhandlung« erkämpfen, um nicht zun sagen: erstreiten. Ich war stolz, dass ich als Wehrdienstverweigerer – wie es offiziell hieß – anerkannt wurde. Und ich habe sechzehn Monate Zivildienst geleistet, einen Monat länger, als der Wehrdienst damals dauerte. Und nun muss ich mich nach so vielen Jahren ganz neu mit dem Thema Krieg auseinandersetzen, muss meine Einstellungen überdenken, meine Überzeugungen revidieren. Heute finde ich es wichtig, dass Deutschland das überfallene Volk mit Waffen unterstützt. Einfach unfassbar.
»Krieg hat es ja schon oiwei (hochdeutsch: immer) gebn«, sagt Gerhard Polt in seinem grandiosen Stück »Der Buwe«, in dem er einen Opa gibt, der auf seinen Enkel Geofrei aufpassen muss und dem er bei dieser Gelegenheit Demokratie beibringt. Ja, Kriege hat es schon immer gegeben, das stimmt. »Wann hat es denn keinen Krieg gegeben?«, fragt Polt weiter. Wir können jedenfalls auf eine unvergleichlich lange Zeit des Friedens zurückblicken. Friede ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Das Hauptwort Krieg hängt etymologisch mit dem Verb kriegen zusammen. Das abgeleitete Verb kriegen heißt ursprünglich Krieg führen, heißt umgangssprachlich bekommen. Putin träumt davon, die Urkaine zu bekommen, sie seinem »Großreich« Russland einzufügen.
Das Wort des Jahres ist Zeitenwende. Der Begriff wurde von Bundeskanzler Scholz im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine verwendet. Der Krieg ist in jeder Hinsicht eine Zeitenwende. Wir müssen in vielerlei Hinsicht umdenken, die Zeitenwende findet in unseren Köpfen statt.
1971 war das Wort des Jahres aufmüpfig, umgangssprachlich für aufsässig. Ob es was nützt, wenn Menschen aufmüpfig gegenüber den Regierenden sind? Oder führt das zu noch mehr Mord und Unterdrückung? Was ist die richtige Haltung gegen Krieg? Wie können wir dazu beitragen, dass endlich Frieden eintritt und die Menschen wieder ohne Angst und Schrecken leben können?
Arnim Juhre, der deutsche Schriftsteller (*1925/+2015) stellte in einem Gedicht die Friedensfrage:
Das Wort Frieden
ist ein Hauptwort.
Das hatten wir schon
in der Schule.
Aber wie heißt nun
zum Hauptwort Frieden
das Tätigkeitswort?
Wo lernen wir das?
Von Bert Brecht stammt das Gedicht:
Mit kindlichen Worten
Die Häuser sollen nicht brennen
Bomber soll man nicht kennen.
Die Nacht soll für den Schlaf sein.
Leben soll keine Straf sein.
Die Mütter sollen nicht weinen.
Keiner soll töten einen.
[…]
Mitgefühl
Für Renate Schmid, der ehemaligen Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, ist Mitgefühl das schönste Wort, gefolgt von Liebe. Mitgefühl und Liebe gehören meines Erachtens zusammen. Von uns ist in diesen Zeiten Mitgefühl für die Menschen in der Ukraine und in Russland gefordert. Und Durchhaltevermögen. Die weihnachtliche Botschaft lautet Friede. Der Friede des Herrn sei mit euch!, heißt es in der Bibel. Von Erich Fried stammt das Gedicht
Haus des Brotes
Der Stern über dem Haus
aber das Dach ist zerfallen
zerfressen
von den Strahlen des Sternes
oder zerbrochen
als man den Stern hinaufschoss
oder spröde geworden
von der Kälte der Nacht
und zersprungen
mit dem Knacken von Knochen.
Für den Frieden kämpfen?
Kann man für den Frieden kämpfen? Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Ein sogenanntes Oxymoron? Gleichwohl: Wir dürfen nicht müde werden in unserem Mitgefühl, in unserer Sehnsucht nach Frieden und Freiheit. Ich wünsche den Menschen in der Ukraine, in Russland, den Frauen in Afghanistan, den Menschen in Iran und uns allen Frieden und ein friedliches Zusammenleben. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass im nächsten Jahr doch noch ein ehrlicher Friede zustande kommt, der die Menschen wieder befreit atmen lässt. Venceremos: Wir werden siegen. Oder: Das Gute wird siegen. Daran glaube ich.
Denkmal. Gedankensprünge zur Olympiade. Hrsg. im Auftrag der Kirchlichen Dienste. München 1972
Weihnachten anders. Autorinnengruppe München. Hrsg. von Ute Hacker. München 1998
Thema Weihnachten. Gedichte der Gegenwart. Hrsg. von Wolfgang Fietkau. Wuppertal-Barmen 1970
Frieden ist kein Sterbenswort. Ein Lyrik Forum des Deutschen Allgemeinen Sonntagsblattes. Hrsg. von Herbert Herbert Glossner. Hamburg 1981
Abbildung: ©pexels.com/matti-karstedt
Josch 26.12.2022, 16.22
Danke für diese gute und be-denkens-werte Zusammenstellung. Spricht mir aus dem Herzen
vom 27.12.2022, 11.14