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Leben auf der Standspur?

Als das Telefon noch schwarz war

In meiner Kindheit war ein Telefon noch etwas Besonderes. Nicht jede Familie hatte einen eigenen Anschluss. Oft kamen die Nachbarn zu uns zum Telefonieren. Eine sogenannte Telefoneinheit kostete 23 Pfennig. Der Preis eines Telefonats hing davon ab, ob es sich um ein Orts- oder Ferngespräch handelte. Beim Einrichten des Telefons mussten noch richtig Leitungen verlegt werden. Dazu brauchte es gut ausgebildete Fernmeldetechniker. Vom Antrag auf einen privaten Anschluss bis zur Installation vergingen Wochen. Unser erster Telefonapparat war schwarz und hatte eine Wählscheibe.



Leben ohne Internet und Smartphone

Mein Vater hatte eine separate Klingel im Flur installieren lassen, damit man hörte, dass man angerufen wurde, wenn man nicht gerade im Wohnzimmer saß, in dem sich das Telefon befand.

Um mit einem Menschen Kontakt aufzunehmen, schrieb man in der Regel einen Brief oder eine Karte. Es sei denn, der andere hatte auch ein Telefon. Man war also nicht ständig verfügbar. Es gab ja keine E-Mails, kein Internet und schon gar kein Smartphone, auf das man ständig starrte.

Nachrichten verbreiteten sich nicht in Windeseile über den gesamten Planeten. Hauptinformationsquelle waren die Tageszeitung, das Radio und – auch nicht in allen Familien – das Fernsehen, in der Regel in schwarz-weiß. Man lebte also ganz schön von der Welt abgeschottet. Und doch wusste man Bescheid, was auf der Welt passierte. Es dauerte eben ein paar Stunden länger als heute.

 

Kommunikation im 18. Jahrhundert

Wenn ich mir überlege, wie wir das alles überleben konnten, muss ich unwillkürlich daran denken, wie es wohl im 18. Jahrhundert gewesen sein mag, als Mozart, Goethe oder Beethoven lebten und reisten. Mozart zum Beispiel war bereits zu seinen Lebzeiten ein Weltstar. Wie konnte das sein? Kein Telefon, kein Radio, kein Fernsehen, kein elektrisches Licht, keine asphaltierten Straßen, kein Navigationssystem, keine überdimensionierten Wegweiser, keine Beleuchtung in der Nacht. Und doch hat er – und auch Goethe – nahezu das gesamte westliche und südliche Europa bereist. Mozart war ein Drittel seines gesamten Lebens auf Reisen, will heißen: in der Pferdekutsche. Man stelle sich das Reisen im Winter vor, bei eisiger Kälte, Schnee und Matsch, morastigen Straßen etc. Klavier üben in der Kutsche auf einem Reisekeyboard (wie man heute wohl sagen würde).

Wie stand es da mit der Verfügbarkeit? Mit Nachrichten? Mit Kontaktaufnahme? Mit Korrespondenz? Man musste doch tatsächlich Briefe schreiben, die mit Postkutschen transportiert wurden. Und doch haben die Menschen auch überlebt. Goethe wurde immerhin knapp 83 Jahre alt.

 

Sich einen Rückzugsraum bewahren

Ich selbst trage mein Smartphone nicht ständig mit mir herum, und ich bin dadurch nicht ständig verfügbar. Ich versuche mir einen inneren Raum des Rückzugs zu bewahren. Als ich dies vor Kurzem meinem Sohn erzählte, meinte er, warum ich dann überhaupt ein Handy habe, wenn ich es in meinem Zimmer liegen lasse oder wenn ich nicht auf jedes Klingeln des Telefons reagiere? Junge Menschen schütteln über ein solches Verhalten den Kopf. Das sind eben so Marotten im Alter.

Die ständige Verfügbarkeit, die Vernetzung mit der großen weiten Welt hat selbstverständlich riesige Vorteile. Man denke nur an medizinische Notfälle: Wie viele Menschenleben können gerettet werden, weil man eben keine Telefonzelle braucht, um einen Notruf abzusetzen. Wie bequem ist es doch, sich über eine x-beliebige Frage im Internet zu informieren, Zug- und Flugverbindungen zu suchen und zu buchen, sich schnell über etwas umfassend zu informieren.

Wie umständlich war es doch, als ich studierte, eine Diplom-, Magister- oder Doktorarbeit zu schreiben, das umständliche Korrigieren, wenn man sich vertippt hatte etc. etc.

Und doch hat die eingeschränkte Verfügbarkeit für mich auch ihren Reiz. Ich brauche sie manchmal zum Atemschöpfen nach einer Anstrengung oder einfach zum Entspannen oder für einen wohltuenden Rückzug, ohne mich dafür rechtfertigen zu müssen ...

Copyright Abbildung: (c) fotolia, h_lunke

Josch 09.08.2017, 13.18

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Kommentare zu diesem Beitrag

2. von Catherine Avak

Ja, heute sind wir mit allem und jedem rund um die Uhr verbunden. Gott sei Dank gibt es aber immer noch Möglichkeiten, Menschen, die uns wichtig sind, zu zeigen, dass sie es sind.

vom 10.08.2017, 15.52
Antwort von Josch:

Je stärker und umfassender die Vernetzung, desto schwieriger ist der angemessene Umgang damit.
1. von Catherine Avak

Als ich ein Kind war, haben manche Menschen 20 JAHRE auf einen Telefonanschluss gewartet. Das waren die 60-er Jahre im Iran. Und ich weiß noch, wie Ende der 70-er Jahre die ganze Familie Stunden lang versucht hat, eine Telefonverbindung mit dem Ausland aufzubauen. Man hat sich dafür die Finger wund gewählt. Die Familienmitglieder haben sich etwa halbstündlich abgewechselt, der, der dran war, hat immer wieder die lange Nummer gewählt, bis nach Stunden endlich eine (grotten schlechte) Verbindung zustande kam. Als ich 1984 nach Deutschland kam, war alles etwas einfacher: Die Familie hat damals noch einen Ausflug zum Telefonamt gemacht, hat die Telefonnummer am Schalter abgegeben, eine Wartenummer gezogen, und solange gewartet, bis sie in eine Telefonzelle gerufen wurde. Hier wartete ich am anderen Ende der Leitung auf sie. Die Finger waren gerettet!

Diese uralten Erinnerungen waren bei mir völlig verschüttet und sind durch Ihren Beitrag wieder zum Leben erweckt worden. Danke dafür!

vom 10.08.2017, 09.11
Antwort von Josch:

Vielen Dank für Ihren wunderbaren Kommentar. Was man doch früher alles gemacht hat, um mit jemand zu sprechen oder in Kontakt zu kommen. Aber sind nicht die Schwierigkeiten, die man dabei hatte, und die Hürden, die man überwinden musste, letztendlich ein Gradmesser dafür, wie wichtig einem der Mensch am anderen Ende der Strippe war?
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