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Mein Weg zum Sprachpaten

Ehrenamt Sprachpate

Wenn unter meinen Freunden die Sprache auf Asylbewerber und Migranten kam und der eine oder die andere meinte, dass Integration Grenzen habe, ich jedoch vehement dagegen argumentierte, wurde mir oft entgegengehalten, dass ich doch gar nicht mitreden könne, da es in meinem Umfeld keinen einzigen Menschen mit Migrationshintergrund gebe. Das war ein Argument, dem ich nichts entgegenzusetzen wusste. Es stimmte: Ich saß vor meinem Bildschirm und redigierte fernab aller Integrationsprobleme Manuskripte. Als ich die Arbeit reduzierte, weil ich mehr Zeit für meine eigenen Interessen haben wollte und ich plötzlich diese Mehrzeit auf Anhieb gar nicht sinnvoll füllen konnte, erinnerte ich mich an eine Bekannte, die häufig davon sprach, wie wichtig ihr die Arbeit als Sprachpatin in einem Helferkreis ihrer Gemeinde sei.



Der Weg zum Sprachpaten

Mich ließ der Gedanke nicht mehr los. Die Idee gefiel mir, und so reifte in mir der Wunsch, Asylbewerber bzw. Flüchtlinge beim Erwerb der deutschen Sprache zu unterstützen. Ist doch die deutsche Sprache seit mehr als 40 Jahren wesentlicher Inhalt meines Berufs als Lektor und Redakteur. Also suchte ich Anlaufstellen, die mir bei der Verwirklichung meines Wunschs behilflich sein könnten. Ich fand nach mühsamer Suche eine offizielle Adresse auf der Webseite des Landratsamts, an die ich mich postwendend wandte und meine ehrenamtlichen Dienste anbot … und wartete vergeblich auf eine Reaktion. Na gut, dachte ich, man braucht so Leute wie mich offenbar nicht. Wenn ich enttäuscht und resigniert mit meiner Frau darüber sprach, hielt sie mir entgegen, dass sich die Welt geändert habe und schlichtweg in den Ämtern die Mitarbeiter fehlten, die auf solche Mails sofort antworten würden.

 

Ohne private Kontakte geht gar nichts…

Da gab mir eine andere Freundin den Tipp, mich doch an einen uns bekannten Nachbarn zu wenden, der in einer einige Kilometer entfernten Nachbargemeinde in einem Asylantenheim alte Fahrräder für die Bewohner repariert oder zusammenbaut. Als ich ihn einige Tage später zufällig in der Tiefgarage traf und ihm von meinem Wunsch erzählte, dauerte es keinen Tag,  und ich hatte eine Mail von einem Menschen in meinem Account, der mir sofort einen Kontakt im besagten Asylbewerberheim vermittelte. Allerdings, so fragte dieser etwas unsicher bei unserem Telefonat, ob ich mir denn auch Alphabetisierung zutrauen  würde, denn das Ehepaar, das er im Auge habe, spreche kein Wort Deutsch. Natürlich traue ich mir das zu, entgegnete ich, ohne Vorstellung, was da auf einen zukommt. Kaum hatte ich den ersten Termin mit ihm vereinbart, erhielt ich eine Mail von einem neu bestellten Mitarbeiter des Landratsamtes, der fragte, ob ich noch zur Verfügung stehen würde und ob er meine Kontaktdaten an die hiesige Berufsschule weitergeben dürfe. Es dauerte keine halbe Stunde nach meiner Antwort, und ich hatte eine Sozialpädagogin der Schule am Telefon, die mich fragte, ob ich vielleicht schon morgen einen Schüler aus dem Jemen übernehmen könnte, der im Unterricht mit Kindern etwas unglücklich sei. Und so hatte ich nach über vier Wochen Warten von jetzt auf dann drei Kandidaten, denen ich ab sofort versuchte, die deutsche Sprache näherzubringen.

 

Sprachpate werden ist oft schwer, Sprachpate sein dagegen nicht so sehr

Nun bin ich an fünf Tagen in der Woche mit dem Fahrrad unterwegs zu meinen Schülern. Und ich darf sagen, dass mir diese Arbeit ungemein viel Spaß bereitet. Auch wenn Alphabetisierung mitunter ein mühsames Unterfangen ist, wenn ich entmutigt mit dem Gefühl nach Hause fahre, dass meine Arbeit keinen Fortschritt bringt. Wenn ich dann aber in der Folgestunde feststelle, dass die kurdische Mutter eines kleinen Mädchens in einem Heft die Wörter, die wir in der vorhergehenden Stunde per Übersetzungs-App gelernt haben, in ein Heft geschrieben und daneben das entsprechende türkische Wort notiert hat, dann sind meine Bedenken wie weggeblasen.

 

Uns geht's gut, wir haben keine Sorgen …

… so heißt es in einem alten Gassenhauer. Es sind durchweg junge Menschen, die nach langer und gefährlicher Reise in Deutschland angekommen sind und hier auf eine Anerkennung als Asylanten hoffen, die monatelang auf engstem Raum im Ungewissen leben und nicht wissen, ob sie hier eine Zukunft haben. Dass sie dennoch Deutsch lernen, zeichnet sie aus. Und ich bewundere sie. Ich kann nur über ihren Spracherwerb dazu beitragen, dass sie hier eine neue Heimat finden, in der sie nicht verfolgt werden und nicht täglich um ihr Leben bangen müssen.

Diese Arbeit gibt mittlerweile meinem Rentnerdasein Struktur und meinem Leben neuen Sinn. Deswegen bin ich auch sehr dankbar dafür, dass es diese Menschen gibt, die sich mir voller Vertrauen öffnen und mich an ihrem Leben teilnehmen lassen. Welch ein Geschenk! Wir haben nichts dafür getan, in eine freie, reiche, sozial und politisch sichere Gesellschaft geboren worden zu sein. Wir sollten uns dies immer wieder einmal vor Augen führen. Dann werden so manche scheinbaren Probleme zu dem, was sie oft in Wahrheit sind: Pipifax.

© Abbildung: pexels.com/shvets

Josch 20.03.2023, 19.23

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