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Seelischer Mülleimer

Seelischer Mülleimer für andere? 

Kennen Sie auch Menschen, die auf die einfache Frage: „Wie geht es dir?“, sofort zu jammern anfangen und des Langen und Breiten von ihren Krankheiten oder ihrem Unglück erzählen? Da möchte man am liebsten auf dem Absatz kehrt machen und die Flucht ergreifen. Oft brechen ganze Kaskaden an Klagen über einen herein, die einen staunen und stumm werden lassen. Dieses Lamentieren ist auch deswegen unangenehm, weil man ja nichts zur Besserung beitragen kann und es einen so hilflos aussehen lässt. Und irgendwie wird man dadurch auf sich selbst zurückgeworfen. Vielleicht geht es einem gerade selbst nicht besonders gut. Und ausgerechnet dann läuft einem jemand mit einem Rucksack an Problemen über den Weg. Schauderhaft.



Abgrenzen oder abschmettern?

Wenn es mir gut geht, dann laufe ich Gefahr, dass die Sorgen des anderen wie ein Wespenschwarm bei Kaffee und Erdbeerkuchen auf meinem frühsommerlich warmen Balkon über mich herfallen und mir meine gesamte Lebensenergie rauben.

Im Nachhinein frage ich mich dann oft, warum es mir nicht gelungen ist, mich von den fremden Sorgen und Tragödien abzugrenzen. Wieso konnte ich mich der psychischen Ausbeutung nicht erwehren? Und irgendwie habe ich dann oft das Gefühl, dass das Unglück umso schlimmer, ja überdimensionierter wird, je hilfloser ich mich bei dieser Litanei fühle.

Wenn es mir jedoch gelingt, mich abzugrenzen, dann wiederum beschleicht mich hinterher oft das Gefühl, ich sei zu wenig empathisch gewesen. Ich habe den armen Kerl in seinem Unglück allein gelassen. Aber stimmt das wirklich? Bin ich wirklich egozentrisch, gefühlskalt oder autistisch, nur weil ich mich abgegrenzt habe? Muss ich mir wirklich alles Leid der Welt anziehen? Mitnichten! Das wäre meines Erachtens wirklich krank bzw. es würde mich krank machen. Empathie: Ja – die Dramen des anderen zu meinen eigenen machen: Nein.

Wie aber kann man empathisch sein und sich dennoch abgrenzen? Dazu muss man sich klar machen, dass Abgrenzung nicht mit Abschmettern verwechselt werden darf. Abgrenzen ist zunächst ein innerer, abschmettern in erster Linie ein äußerer Vorgang. Im Idealfall nehme ich innerlich Abstand und sage mir: Schlimm, aber es hat nichts mit mir zu tun. Ich gehe buchstäblich oft ein wenig zurück, ohne dass der andere das Gefühl bekommt, ich sei soeben im Begriff, die Flucht zu ergreifen. Es ist ein Ausatmen, ein Wegatmen der Anspannung. Und damit bekomme ich oft Abstand. Ich kann nachfragen und überlegen, kann darüber nachdenken, wie ich mich in dieser Situation verhalten hätte.


Was hat das bitte mit mir zu tun?

Und wenn ich mich nicht so problemlos abgrenzen kann, dann hat dies in gewisser Weise mit meiner Angst zu tun, mir könnte auch so etwas passieren. Das ist dann schon ziemlich problematisch. Denn nun muss ich mich ja mit meiner eigenen Angst auseinandersetzen, muss sie zulassen, muss versuchen, ihr auf den Grund zu gehen. Welche Bilder, Situationen, Menschen fallen mir dazu ein? Was hat mir dabei geholfen, aus dem Sumpf herauszukommen?

Manchmal hilft es mir sogar, mich in Floskeln zu verlieren: Wie schlimm es sei, was dem anderen da passiert ist, wie ungerecht doch die Welt ist, dass das Unglück immer die Falschen treffe, dass es schier unglaublich sei, was der andere da aushalten müsse usw. Und dieser vielleicht oberflächliche Trost hilft mir, Abstand zu gewinnen: Es wird schon wieder. Lass den Kopf nicht hängen. Nur Mut! Oder ich versuche, mein Gegenüber auf andere Gedanken zu bringen. Wenn es passt, könnte man über einen Film, eine Veranstaltung, ein Buch, einen Song sprechen, der genau von so einer Situation handelt. Ablenkung ist oft eine sehr effektive Methode, für eine gewisse Zeit die Probleme zu vergessen, zu verdrängen, zur Seite zu stellen.


Warum erzählt man ausgerechnet mir diese Geschichten? 

Zu Hause kann ich mich dann mit meinen eigenen Dramen und Sorgen beschäftigen, und zwar mit den üblichen Instrumentarien: Atem, Meditation, Gespräch, kann mit bewusst verkopfter Reflexion meinen inneren Frieden finden. Die beste Medizin gegen dieses Mit-hineingezogen-Werden ist für mich jedoch die Konzentration auf das Hier und Jetzt. Ich lebe jetzt und nicht gestern oder morgen. Nein! Gerade jetzt. Ich konzentriere mich auf meine Umgebung, auf bestimmte Gegenstände in meinem Zimmer, auf ein Bild, das mir besonders gut gefällt. Ich zitiere vor meinem inneren Auge einen Satz, ein Gedicht, das mir gerade einfällt und mir besonders gut gefällt und lasse die Bilder, die das Gedicht auslöst, vor mein drittes Auge treten. Ich konzentriere mich auf meinen Atem, auf meine Körperhaltung, und versuche alle Geräusche und Töne abzuschalten. Ich bin ganz bei mir. Und dann werden alle Sorgen und Nöte erheblich kleiner. Ganz automatisch eröffnen sich Wege, ergeben sich Lösungen. Wenn mir mein „Patient“ demnächst wieder begegnet, kann mir gar nichts mehr passieren. Vielleicht fällt mir sogar in diesem Moment ein plausibler Grund ein, warum ich mich jetzt nicht mit seiner Krankheit beschäftigen kann.


Ich muss mich allerdings fragen, warum jemand ausgerechnet bei mir seinen seelischen Müll ablädt? Fallen diese Kaskaden des Unrechts oder diese schauerlichen Krankheitsgeschichten vielleicht auf fruchtbaren Boden, weil es mir ähnlich geht? Oder bin ich lediglich zu gutmütig? Übertreibe ich es mit meiner Empathie? Oder vermittle ich das Gefühl, dass ich alle Sorgen der Welt anziehe wie das Licht die Motten? Irgendetwas stimmt nicht in meinem Verhalten. Irgendwo bin ich nicht ehrlich vor mir und vor dem anderen. Und das gilt es abzustellen, aufzulösen. Sonst bin ich wirklich rettungslos verloren. Das ist nicht ganz einfach. Aber auch hier hilft es, sich auf seine Gefühle zu konzentrieren, die Bilder zuzulassen, die diese Gefühle und Gedanken auslösen. Diese Bilder weisen den Weg zur Veränderung.

Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen! Lassen Sie sich nicht hinunterziehen. Probieren Sie einfach die vorgestellten Lösungen aus, und geben Sie mir doch Bescheid, wie es Ihenn damit ergangen ist.

Welche Anrede ist besser? Du oder Sie?

Copyright Abbildung: © Fotolia, ra2 studio 

Josch 23.05.2022, 15.51

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Angela

Moin,

das "Du" finde ich schöner :-)
Diese Menschen, die einen gleich alles aufhalsen wollen, nenne ich auch "Energiezombies". Sie rauben einem die letzte Energie.
Mein Tipp: sofort klare Grenzen setzten. Wie von Dir geschrieben, Empathie ja, aber bitte nicht mehr. Bis hierher und nicht weiter. Zombies sind unersättlich.

Liebe Grüße
Angela


vom 23.07.2022, 13.13
Antwort von Josch:

Danke für deinen Kommentar, den ich voll und ganz unterschreiben kann. Liebe Grüße, josch
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