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Vom Manuskript zum Buch (Teil 4)

Der folgende Beitrag handelt von der Manuskriptbeurteilung im Lektorat, wie ich als Verlagslektor dabei vorging, welchen Einfluss das Anschreiben hat und was in einem Gutachten stehen sollte.



Ich nehme an, jeder Lektor hat so seine ganz speziellen Methoden der Manuskriptbeurteilung. Ich hatte das große Glück, noch während meines Studiums eine Anstellung in einem Fachbuchverlag zu bekommen und dort auf einen außergewöhnlichen Chef (Lektoratsleiter) zu treffen, der immer ein offenes Ohr für mich und meine Fragen hatte, auch wenn er vor lauter Papierkram, Manuskripten und Büchern auf seinem Schreibtisch kaum noch zu sehen war. Von ihm lernte ich, was ich an „Handwerk“ für den Beruf des Lektors, Redaktionsleiters und später als Verlagsleiter brauchte.

1 Zunächst las ich das Begleitschreiben (die Mail des Autors) und ließ den Titel des Manuskripts kurz auf mich wirken. Machte mich weder das Thema bzw. der Titel noch das Anschreiben neugierig, kam das Manuskript auf den Stapel der Manuskripte, die von meiner Sekretärin mit einem Standardbrief abgesagt wurden (bzw. zog ich die Datei in den Ordner „MS-Absagen“).

Wie schon im letzten Artikel „Vom Manuskript zum Buch (Teil 3)“ erwähnt, sagt das Anschreiben sehr viel über den Autor aus. Ich hatte oft den Eindruck, dass sich der Absender nur wenig oder überhaupt keine Mühe mit seinem Anschreiben gemacht hatte. Da wurde weder auf Stil noch auf Grammatik noch auf Form geachtet. Nur irgendwie weg mit dem Brief oder der Mail, so schien es mir, wenn ich las, was der Absender schrieb. Ganz negativ kam bei mir an, wenn der Autor schrieb, dass er sein „Buch“ auch anderen Verlagen angeboten habe und daher eine schnelle Antwort nötig sei (welch unnötige Drohung!).

Dabei ist das Anschreiben eine Visitenkarte, es vermittelt einen ersten Eindruck von einem (bisher unbekannten) Menschen, der damit Aufmerksamkeit und Anerkennung für sein Werk bekommen möchte. Mit einem schludrig verfassten Begleitschreiben erreicht er jedoch genau das Gegenteil.

Ein von Fehlern strotzendes Anschreiben ist meines Erachtens nicht nur unhöflich, sondern dem Adressaten gegenüber auch verächtlich. Es signalisiert dem Adressaten, dass es dem Absender egal ist, was man von ihm denkt. Selbst wenn das Thema des Manuskripts interessant war und sich für eine nähere Prüfung empfahl, achtete ich bereits beim ersten stichpunktartigen Lesen auf Grammatik, Syntax und Interpunktion. Hat sich dabei schon nach wenigen Stellen im Manuskript der Eindruck bestätigt, dass es nur so von Fehlern strotzt, antwortete ich auf das Manuskriptangebot mit einer Absage.

2 War das Anschreiben ansprechend, der Titel originell, sah ich mir das Exposé bzw. das Manuskript an, überflog die Gliederung (bei Sachbüchern und Ratgebern), las das Vorwort oder einige Stellen in der Einleitung, blätterte beliebig weiter und las hier einen Absatz, dort ein paar Sätze, blätterte weiter, las hinten im Werk eine Seite usw. (siehe auch: Dr. Raimund Fellinger im Interview im SZ-Magazin vom 19. Februar 2016: „Welcher Schriftsteller ist kein Kotzbrocken?“). Wer sich von Berufs wegen mit Texten beschäftigen muss, hat ziemlich schnell ein sicheres Gespür dafür, ob das Werk für eine Publikation im Verlag geeignet ist oder nicht.

Hatte ich schon mit der ersten Stelle, die ich las, einen guten Eindruck und bestätigte sich dieser auch an den anderen Stellen, die ich las, dann wählte ich in der Gliederung (beim Sachbuch) verschiedene Punkte aus, die mein Interesse weckten, und las, was der Autor dazu geschrieben hatte. Verflüchtigte sich dabei der erste Eindruck, bat ich einen Kollegen, sich die Stelle mal anzusehen. Teilte der Kollege oder die Kollegin meinen Eindruck, lehnte ich das Projekt ab.

Waren die ausgesuchten Stelle jedoch interessant und informativ, dann begann ich ausführlich zu lesen. Und erst jetzt waren die Anfangshürden genommen. Verfestigte sich mein Eindruck immer mehr, dann las ich das gesamte Manuskript und erstellte ein Gutachten mit folgenden Gliederungspunkten:

 

1 Thema/Titel

2 Genre/ eventuell Warengruppe

3 Konkurrenzumfeld

4 Umfang/ Besonderheiten, z.B. (bei Sachbüchern und Ratgebern): Bebilderung, Fremdtexte (für die man die Abdruckrechte einholen muss) etc.

5 Formulierung der Zielgruppe, an die sich das Werk wendet

6 Inhalt und Beurteilung

7 Formale Hinweise (Rechtschreibung, Stil, syntagmatische Besonderheiten, Interpunktion, logischer Aufbau, Längen, Redundanzen, Besonderheiten etc.)

8 Geschätzter lektoraler bzw. redaktioneller Aufwand

9 Empfehlung für die Lektorats- bzw. Programmkonferenz

 

Mit diesem Gutachten ging ich dann in die Lektoratskonferenz, in der ich das Projekt den Kolleginnen und Kollegen vorstellte und es diskutierte.

Nächste Hürde: Die Programmkonferenz mit Marketing, Vertrieb, Werbung und Verlagsleitung. Was in so einer Programmkonferenz passiert, werde ich im nächsten Artikel beschreiben.

Josch 23.03.2016, 21.39

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