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Was anonyme Botschaften "anrichten" können
Vor Kurzem las ich auf einem Briefkasten: „Schreib ihr einen Liebesbrief. Dass sie in 40 Jahren Whatsapp-Nachrichten auf dem Dachboden findet, ist eher unwahrscheinlich.“ Im ersten Moment musste ich über die Empfehlung mit wasserfestem Stift in geschwungener, gut lesbarer Schrift auf die Oberseite des gelben Kastens geschrieben, schmunzeln. Doch dann ließ mich diese originelle Aufforderung (wahrscheinlich ein Werbegag der Post) einfach nicht mehr los. Ich überlegte: Wann bekam ich in den letzten Monaten einen persönlichen Brief? Also keine Rechnung, keine Werbesendung, kein offizielles Schreiben des Finanzamts oder der Stadtverwaltung? Einen richtigen, an mich persönlich adressierten, per Hand geschriebenen Brief eines mir nahestehenden, lieben Menschen? Das ist schon eine Ewigkeit her.
...weiterlesenJosch 01.08.2022, 11.05 | (1/1) Kommentare (RSS) | TB | PL
Hälfte des Lebens ...
... war ein Beitrag in der Rubrik "Ein Text, der mir zu denken gibt" in einer religionspädagogischen Fachzeitschrift überschrieben. In dieser Rubrik stellten Autoren einen kurzen Text vor, mit dem sie eine einschneidende Erfahrung in ihrem Leben verbanden. Ein Text, der mir bis heute zu denken gibt, war von meinem damaligen Vorgesetzten und Lektoratsleiter verfasst. Er zitierte den zweiten Teil von Friedrich Hölderlins Gedicht „Hälfte des Lebens“:
Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.
Josch 31.07.2022, 12.19 | (1/1) Kommentare (RSS) | TB | PL
Freies Liebesleben unter hasserfüllten Spießern
Ein unglaubliches Buch. Unglaublich sein Inhalt. Unglaublich die Arbeit, die Mühe, das Detailwissen, das in diesem Buch steckt. Unglaublich, weil es einen Gegenentwurf darstellt zu all dem, was normalerweise über die dunkelste Zeit deutscher Geschichte publiziert wird und was wir offenbar kaum oder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen haben. Es beschreibt die Liebe in Zeiten zunehmenden Hasses, eine Liebe, wie sie nur Künstler bzw. Intellektuelle ausleben konnten. Die breite Masse jedenfalls schien davon nichts gewusst zu haben, wie sie auch von den Gräueltaten nichts gewusst hat, wie nach dem Ende des Schreckens vielfach behauptet wurde. Das »Nichtwissen« kam den Künstlern entgegen. Denn hätte die Öffentlichkeit von Schwulen und Lesben, von offenen Partnerschaften und ständigen Partnerwechseln gewusst, wäre manch Liebende bzw. Liebender für immer in den Gefängnissen und Konzentrationslagern verschwunden.
...weiterlesenJosch 10.07.2022, 14.18 | (0/0) Kommentare | TB | PL
Sprachfeinheiten zum Schmücken der Sprache
Wer heute ein Wort liest oder hört, das ihm unbekannt ist oder dessen Bedeutung ihm nicht klar ist, der googelt es oder sucht bei Wikipedia, ob sich dort ein Eintrag findet. Für die schnelle Suche wird man wahrscheinlich nicht zu einem Wörterbuch greifen; das ist vielen, vor allem jüngeren Menschen, viel zu aufwendig. Wer sich aber auf die Suche nach Wortschönheiten macht, gleichsam als wolle er eine fremde Sprache lernen, dem nützt die Suche übers Internet wenig. Menschen also, die aus reiner Lust unbekannte oder neue Wörter entdecken möchten, kommen an einem Wörterbuch schlichtweg nicht vorbei. Nun könnte man auch im grimmschen Wörterbuch, das es auch digital gibt, nachschlagen, aber das ist nicht wirkich produktiv, denn dort wird man nur fündig, wenn man ganz konkret nach einem bestimmten Wort sucht.
...weiterlesenJosch 25.05.2022, 20.43 | (2/2) Kommentare (RSS) | TB | PL
Seelischer Mülleimer für andere?
Kennen Sie auch Menschen, die auf die einfache Frage: „Wie geht es dir?“, sofort zu jammern anfangen und des Langen und Breiten von ihren Krankheiten oder ihrem Unglück erzählen? Da möchte man am liebsten auf dem Absatz kehrt machen und die Flucht ergreifen. Oft brechen ganze Kaskaden an Klagen über einen herein, die einen staunen und stumm werden lassen. Dieses Lamentieren ist auch deswegen unangenehm, weil man ja nichts zur Besserung beitragen kann und es einen so hilflos aussehen lässt. Und irgendwie wird man dadurch auf sich selbst zurückgeworfen. Vielleicht geht es einem gerade selbst nicht besonders gut. Und ausgerechnet dann läuft einem jemand mit einem Rucksack an Problemen über den Weg. Schauderhaft.
...weiterlesenJosch 23.05.2022, 15.51 | (1/1) Kommentare (RSS) | TB | PL
Anrede in Nachrichtendiensten und andere Nachlässigkeiten
In folgendem Kurzbeitrag greife ich ein Anredeverhalten auf, über das ich mich immer wieder ärgere und das mich von Fall zu Fall verletzt. Woran mag es wohl liegen, dass es vielen Menschen nicht schnell genug gehen kann, wenn sie eine WhatsApp-Nachricht, eine E-Mail oder eine SMS absetzen? Schnell jemand etwas mitteilen, ohne darauf zu achten, ob sie den Namen des Adressaten richtig geschrieben haben oder nicht?
Da wird zum Beispiel aus Josch Bosch oder josh oder Joschka. Gut, das Elektronikunternehmen Bosch ist weltberühmt, dagegen kann ein schlichter Vorname nicht »anstinken«.
...weiterlesenJosch 19.04.2022, 18.02 | (0/0) Kommentare | TB | PL
Ein Schauspieler erzählt von der Inszenierung des monumentalen Shakespearedramas "Hamlet, Prinz von Dänemark" im Jahr 1999 durch den Starregisseur Peter Zadek. Zadek hatte dafür die besten Schauspieler des deutschen Sprachraums um sich versammelt. Eine Besonderheit dieser legendären Inszenierung war die Besetzung der Titelrolle mit einer Frau, nämlich Angela Winkler. Der Autor, selbst Mitglied des Ensembles, reiht tagebuchartig Episode an Episode, teils humorvoll, teils ernst bis hin zu alltäglichen Dramen menschlichen Lebens. Dabei werden die Eigenheiten und Verrücktheiten des Starensembles offenbar, wie sonst eigentlich nur auf der Bühne vor Zuschauern. Im Klappentext des Buches heißt es dazu: »Es ist und bleibt ein großes Geheimnis: Wie entsteht ein Kunstwerk? Klaus Pohl ist es mit seinem grandiosen Roman Sein oder Nichtsein gelungen, diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen.«
...weiterlesenJosch 23.03.2022, 11.02 | (0/0) Kommentare | TB | PL
Hippe Ausdrucksweise oder Sprachgepansche?
Es ist schon bemerkenswert, wie schnell schludriges Deutsch zum Standard wird. Und das liegt nicht nur an den digitalen Medien. Auch in den sozialen Netzwerken und den digitalen Nachrichtenportalen könnte man sich ordentlich ausdrücken. Aber da verwendet irgendein Mensch des öffentlichen Lebens einen unpassenden, aber vielleicht für viele hip klingenden Begriff, und schon verbreitet er sich wie ein Virus in der Pandemie. Aktuelles Beispiel ist das Wort Erzählung. In allen möglichen Beiträgen, Reportagen, Kommentaren liest man neuerdings von Erzählung. Da sagt beispielsweise der FDP-Vorsitzende: "Es gibt diese Erzählung von CDU und CSU, die Ampel müsse einen Gesetzentwurf zur Impfpflicht vorlegen."1 Was ist in diesem Zusammenhang mit Erzählung gemeint? Etwa Behauptung, Forderung, Äußerung, Stellungnahme, Einwand, Aufforderung?
Oder es heißt in einem Bericht über die US-Regierung im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt: Russische Beamte würden Erzählungen über die Verschlechterung der Menschenrechtslage in der Ukraine und die zunehmende Militanz ukrainischer Führer verbreiten.2
...weiterlesenJosch 23.02.2022, 12.37 | (1/0) Kommentare (RSS) | TB | PL
Eine Geschichte von Liebe und Tod
Am 17. Mai 1943 werden Professor Dr. Salomon Waterdrager, seine Frau Henny und ihre Tochter Annabeth in Amsterdam verhaftet und in ein heruntergekommenes Vorstadttheater gebracht, das als Sammelstelle für die Deportation in ein Konzentrationslager dient. Dabei hatte ihm noch zwei Tage zuvor der Leiter der Deportationen für seine außerordentlichen Verdienste in der Jurisprudenz eigenhändig den Sperrstempel in seinen Personalausweis gedrückt. Salomon Waterdragers ist überzeugt, dass es sich nur um einen Irrtum oder eine Verwechslung handeln könne.
Während Professor Waterdrager vehement gegen die Verhaftung protestiert und seine Frau Henny aufgeregt durchs Zimmer geht und Unnötiges zusammenpackt, fügt sich die bildhübsche Annabeth widerspruchslos in ihr Schicksal. Sie wusste, dass es um Leben und Tod geht. Und sie will leben, leben um jeden Preis.
...weiterlesenJosch 04.02.2022, 16.25 | (2/1) Kommentare (RSS) | TB | PL
Partylook in den 1960er-Jahren
Vor Kurzem stieß ich beim Stöbern in alten Ordnern und Fotoalben auf Fotos aus den späten 1960er-Jahren. Fotos von einer Party, die wir bei einem Mädchen aus unserer Clique – so nannten wir damals unseren engeren Freundeskreis – feierten, deren Eltern offenbar an dem Wochenende nicht da waren und die ihrer Tochter erlaubt hatten, eine Party zu feiern. Auch damals feierten Jugendliche Feste – oder eben Partys, wie wir es nannten –, zumal, wenn die Eltern nicht da waren. Allerdings kamen damals keine ungeladenen, unerbetenen Gäste, die von dem „Event“ zufällig auf Facebook erfahren hatten. Facebook „war“ noch nicht.
...weiterlesenJosch 31.01.2022, 18.05 | (0/0) Kommentare | TB | PL